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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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dringend raus. Stieg in mein Auto und fuhr los.
    Es half. Keine Ahnung, warum, aber es half. Zuerst kurvte ich nur durch Wildflower Ridge, Hügel rauf, Hügel runter, in Spiralen um das Baugelände herum, wo gerade die Grundstücke für die neuesten Häuser planiert wurden; dann wagte ich mich allmählich aus unserem Viertel raus, bog auf die Hauptstraße ab, fuhr Richtung Einkaufszentrum. Zunächst hatte ich zwar automatisch das Autoradio ein-, es allerdings sehr schnell wieder ausgeschaltet, weil beim Singen entweder jemand kreischte (nicht gut für meine Nerven) oder lautstark eine verlorene Liebe betrauerte (ganz allgemein nicht gut). Ich konzentrierte mich aufs Fahren, die Geräusche des Motors und des Getriebes, wenn ich einen neuen Gang einlegte, auf die der Bremsen, wenn ich bremste. Und beruhigte mich allmählich. Wenigstens das   – das Fahren, Schalten, Bremsen   – funktionierte noch so, wie es sollte. Zumindest vorläufig.
    Auf dem Rückweg nach Wildflower Ridge herrschte ziemlich viel Verkehr. Klar, Freitagabend, jeder hatte irgendwas vor. Wenn ich vor Ampeln warten musste, schaute ich zu den anderen Wagen hinüber, beobachtete die Familien mit Kindern auf der Rückbank, die wahrscheinlich gerade essen waren und nun heimfuhren; beobachtete die voll geschminkten Studentinnen auf dem Weg in die Clubs, die Hand mit der qualmenden Zigarette lässig aus dem offenenFenster baumelnd. Wie ich so dastand, allein in meinem Auto, umgeben von lauter Fremden, erschien mir die Aussicht, in ein leeres Haus zurückzukehren, an einen Computerbildschirm mit Jasons E-Mail , plötzlich noch schrecklicher als vorher. Ich konnte ihn direkt vor mir sehen, wie er an seinem Laptop hockte und mir schrieb, langsam, gründlich, wohl durchdacht   – vermutlich nachdem er seine Notizen vom Tag abgetippt hatte und bevor er sich auf einer der Websites einloggte, die er regelmäßig besuchte, um sich über die neuesten Umweltaktivitäten zu informieren oder irgendwelche Petitionen rundzumailen. Von der Beziehung mit mir profitierte er nicht mehr, stattdessen überwog die Belastung. Mehr bedeutete ich nicht für ihn. Und seine Zeit war einfach zu kostbar, um sie mit einer solchen Beziehung zu verschwenden. Ein Problem, das ich nicht hatte, denn eines stand jetzt schon fest: Von nun an würde ich genug Zeit haben. Mehr als genug.
    Als ich mich der nächsten Kreuzung näherte, fiel mir plötzlich die Wünschelrute auf. Dieselben kräftigen schwarzen Pinselstriche, derselbe weiße Lieferwagen. Gerade überquerte er vor mir die Kreuzung. Delia saß am Steuer, auf dem Beifahrersitz auch jemand. Ich ließ den Wagen nicht aus den Augen. Genau in der Mitte der Kreuzung war eine leichte Erhebung im Asphalt, und als der Wagen darüber fuhr, hüpfte das Logo einmal leicht auf und ab. Auf den beiden hinteren Türen standen insgesamt vier Buchstaben, zwei auf jeder Tür:
WI
und
SH
.
WISH
.
    Ich bin kein spontaner Mensch. Aber wenn man allein ist, absolut und definitiv allein, hat man gar keine andere Wahl als für Anstöße von außen offen zu sein. Diese vier Buchstaben konnten   – genau wie meine drei Worte für Jason   – viele Bedeutungen haben, und das ohne jede Sicherheitoder Garantie. Doch während der Lieferwagen in eine Querstraße einbog, konnte ich die vier Buchstaben auf der Seitenwand noch einmal deutlich erkennen:
WISH
. Wünsch dir was. Wann, wenn nicht jetzt? Es wurde Grün, ich konnte losfahren. Und was tat ich? Schaltete, gab Gas, bog ebenfalls ab und folgte dem weißen Lieferwagen.

Kapitel 4
    ». . . also sage ich zu ihm: Ich lasse mich doch von dir nicht dafür fertig machen, wie ich aussehe. Ich meine, ich halte ja einiges aus, aber alles muss ich mir nicht anhören. Irgendwo ist eine Grenze. Bestimmte Dinge darf man sich als Mädchen einfach nicht bieten lassen.«
    Okay, dachte ich, vielleicht doch keine so gute Idee?
    Nachdem ich dreimal beinahe umgedreht hätte und weggefahren wäre, zweimal tatsächlich nur vorbeigefahren war und mich einmal eine plötzliche Anwandlung von Mut überkommen hatte, stand ich nun vor der Villa McKimmon, einem historischen Gebäude in der Altstadt. Und vor mir, achtlos am Bordstein geparkt: der Lieferwagen mit der Aufschrift
WISH CATERING
. Die Hintertüren standen weit offen und gaben den Blick auf mehrere Regale mit Containern und Tabletts, mit Unmengen Serviettenpackungen und ein paar verbeulten Servierwagen aus Metall frei. Aus dem Inneren des Wagens drang die Stimme eines

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