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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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schlage ich vor, wir bringen das Haus am Meer auf Vordermann und fahren im August für ein paar Wochen hin. Wally hat in diesem Sommer einen Riesenprozess am Hals und ist sowieso die ganze Zeit weg. Ich habe also genug Zeit, um mich um die Renovierung zu kümmern. Wenn alles fertig ist, machen wir zusammen Ferien, wie früher. Wartet’s ab, es wird bestimmt großartig!«
    »Und ich sage   – übrigens nicht zum ersten Mal   –, dass ich über unser Ferienhaus momentan nicht sprechen möchte«, erwiderte meine Mutter. Genau in dem Moment huschte unsere Kellnerin mal wieder mit hochrotem Gesicht an unserem Tisch vorbei. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte meine Mutter in so scharfem Ton, dass die Arme regelrecht zusammenzuckte. »Wir warten jetzt seit einer halben Stunde auf unser Essen.«
    »Kommt sofort«, antwortete die Kellnerin mechanisch und eilte Richtung Küche. Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr: fünf vor eins. Bethany und Amanda saßen unter Garantie schon an ihren Plätzen und zählten mit Blick auf die große Wanduhr die Sekunden, bis ich zu spät kommen würde und sie endlich was Konkretes gegen mich in der Hand hatten.
    Meine Mutter starrte mit unbeweglichem Gesicht auf einen Punkt in der Ferne. In dem Licht, das von draußen auf unseren Tisch fiel, sah man noch deutlicher als sonst, wie müde sie wirkte. Um wie viel älter, als sie war. Ichkonnte mich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal gelächelt oder gar gelacht hatte. Denn eigentlich konnte sie das, so richtig aus dem Bauch lachen, vor allem wenn mein Vater einen seiner dummen Witze gemacht hatte. Über die sonst kein Mensch lachte; die Witze meines Vaters waren eher Stöhnwitze. Aber meine Mutter fand sie zum Brüllen komisch.
    »Nachdem ich angekommen war, blieb ich erst mal im Auto hocken und weinte«, sagte Caroline. Meine Mutter blickte stur und ungerührt auf jenen unsichtbaren Punkt auf der gegenüberliegenden Wand. »Es war so, als hätte ich ihn noch einmal verloren.«
    Meine Mutter schluckte, atmete ein, atmete aus. Ihre Schultern hoben sich und senkten sich wieder, im Rhythmus ihres Atems.
    »Aber als ich dann ins Haus ging«, fuhr meine Schwester mit sanfter Stimme fort, »fiel mir plötzlich wieder ein, wie sehr er an dem blöden Elchkopf über dem Kamin hing, obwohl das Ding stinkt wie tausend alte Socken. Oder wie du auf dem kaputten Herd Abendessen gekocht hast, Makkaroni mit Käse und Tiefkühlerbsen. Alles auf nur einer funktionierenden Platte, weil du nicht schon wieder gegrillten Fisch essen wolltest, auf gar keinen Fall, da wärest du lieber gestorben.«
    Meine Mutter hob die Hand und presste zwei Finger ans Kinn. Ich fühlte einen Stich in meiner Brust. Hör auf, wollte ich zu Caroline sagen, doch meine Lippen konnten die Worte nicht formen. Denn auch ich hörte zu. Erinnerte mich.
    »Und dieser dämliche Grill, an dem hing er auch wie an einem Schatz. Dabei ist das Teil so was von gefährlich.« Carolines Blick wanderte beim Sprechen von meiner Mutterzu mir. »Der Grill hätte jederzeit in Flammen aufgehen können. Wisst ihr noch, wie er ihn ständig zweckentfremdete und Sachen drin aufbewahrte? Er räumte das Frisbee rein oder irgendwelche Extraschlüssel, vergaß es dann und schmiss das Teil an ohne die Sachen vorher rauszunehmen. Ich habe nachgesehen. Stellt euch vor, unten im Grill liegen noch mindestens fünf halb geschmolzene, rauchgeschwärzte Schlüssel. Wisst ihr das noch?«
    Ich nickte, zu mehr war ich nicht in der Lage. Schon das Nicken fiel mir unendlich schwer.
    »Ich wollte das Haus nicht vergammeln lassen«, meldete sich meine Mutter so plötzlich zu Wort, dass ich beinahe erschrak. »Aber es wurde mir einfach zu viel . . . noch etwas, um das ich mich hätte kümmern müssen . . . ich habe so schon zu viel um die Ohren.«
    Nein! Es kann nicht so einfach sein, sie zum Reden zu bringen, dachte ich. Sie aus der Reserve zu locken, damit sie endlich über all die Dinge sprach, über die ich seit Monaten mit ihr sprechen wollte. Sie an das Thema heranzuführen, um das ich mit ihr gekreist war wie die Katze um den heißen Brei. Das Thema, das wir beide seit Monaten sorgfältig vermieden. Es
kann
doch nicht so leicht sein.
    Meine Mutter setzte erneut an: »Ich will bloß   –«
    Doch Caroline unterbrach sie: »Das Dach bräuchte ein paar neue Schindeln.« Sie sprach jetzt ganz langsam und vorsichtig. »Ich habe mit unserem Nachbarn da unten gesprochen. Rudy, du weißt schon. Er ist Schreiner. Wir

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