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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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Und daher war sie im Stress. Im Dauerstress.
    Dennoch sagte sie: »Mir geht’s gut«, nachdem Caroline sie danach gefragt hatte. Wir saßen zu dritt (Handy ausnahmsweise nicht mit eingerechnet) beim Frühstück. Seit meiner nächtlichen Wanderung mit Wes waren einige Tage vergangen. Meine Schwester pendelte mittlerweile fast ständig zwischen Atlanta und dem Meer hin und her. Bei sich zu Hause sorgte sie dafür, dass Wally genug Obst und Gemüse aß, während er eine wichtige Klage gegen einen Megakonzern durchzufechten hatte. Dann fuhr sie wieder zu unserem Ferienhaus, um mit dem Schreiner die Renovierungsmaßnahmen zu besprechen, fachsimpelte unverdrossen über Baumaterialien, Dekostoffe, Anstrichfarben und kaufte, den Quittungen nach zu urteilen, die überall von ihr herumflogen, den halben Baumarkt von Colby leer. Auf dem Weg zwischen Wally und dem Haus am Meer schaute sie regelmäßig bei uns vorbei, zeigte uns ihre neuesten Fotos, damit wir mitverfolgen konnten, wie die Renovierung vorankam. Sie wollte unsere Meinung zu ihren diversen Gestaltungsideen hören und erzählte meiner Mutter jedes Mal, sie müsse dringend Urlaub machen. Klar, was sonst?
    »Du siehst aber nicht so aus, als ginge es dir gut, Mama«, antwortete meine Schwester.
    Ich steckte mir einen Löffel Cornflakes in den Mund.
    »Schläfst du genug? Schläfst du überhaupt?«, fragte meine Schwester.
    »Natürlich.« Meine Mutter blätterte ein paar Unterlagen durch. »Ich schlafe tief und fest. Wie ein Baby.«
    Wenn sie schlief. Ich hatte in letzter Zeit, wenn ich mitten in der Nacht, so um zwei oder drei, aus irgendeinem Grund runtermusste, ein paar Mal mitgekriegt, dass sie, noch im Businesskostüm, in ihrem Arbeitszimmer saß, wie rasend etwas in ihren PC tippte oder Nachrichten auf den Anrufbeantwortern der Lieferanten und Handwerksbetriebe hinterließ, die für sie arbeiteten. Keine Ahnung, wann sie schlafen ging. Oder ob überhaupt? Jedenfalls war sie am nächsten Morgen immer vor mir wach. Wenn ich in die Küche kam, um vor der Arbeit in der Bibliothek zu frühstücken, saß sie garantiert schon da. Frisch geduscht, wie aus dem Ei gepellt, Handy am Ohr.
    »Aber du musst mir versprechen, dass du mit ans Meer kommst und Urlaub machst, wenn das Haus fertig renoviert ist.« Meine Schwester öffnete eine der Mappen, in denen sie sämtliche Unterlagen für das Ferienhausprojekt mit sich rumschleppte, und sortierte ein paar Fotos um. »Ich schätze, Anfang August wird es so weit sein. Wahrscheinlich in der zweiten Augustwoche.«
    »Solange es nach dem siebten ist, bin ich mit allem einverstanden.« Meine Mutter schob ihren Kaffeebecher zur Seite, um sich mit dem Kuli, den sie in der Hand hielt, neben einem Absatz auf dem Blatt Papier vor ihr etwas zu notieren. »Am siebten werden die Villen mit einer Gala eingeweiht.«
    »Du veranstaltest eine Gala?«, fragte ich.
    »Eher einen Empfang.« Meine Mutter wollte schon eine Nummer auf ihrem Handy wählen, legte es jedoch noch einmal kurz beiseite. »Aber ich möchte, dass er größer und exklusiver wird als die Verkaufsveranstaltungen, die bisher bei uns stattfanden. Ich werde ein Festzelt anmieten, außerdem habe ich einen fantastischen französischen Caterer entdeckt . . . dabei fällt mir ein, ich muss
sofort
einen Anruf machen, wenn ich überhaupt noch eine Chance haben will, in den Küchen die hochwertigeren Wasserhähne installieren zu lassen.«
    Damit stand sie auf, schob ihren Stuhl zurück und ging aus der Küche, wobei sie irgendwas vor sich hin murmelte. Wie sie von Caterern auf Wasserhähne gekommen war, leuchtete mir zwar nicht ganz ein. Aber man kam dieser Tage ohnehin kaum noch mit ihr mit.
    »Am achten also?«, rief Caroline ihr nach. »Achter August? Kann ich mir das in den Terminkalender schreiben? Definitiv?«
    Meine Mutter war zwar schon halb aus der Tür, drehte sich allerdings tatsächlich noch einmal um. »Der achte August. Einverstanden. Definitiv.« Und bekräftigte das mit einem Nicken.
    Caroline lächelte zufrieden, während meine Mutter durch den Flur verschwand. Caroline hob ihre Mappe an, klopfte leicht mit der Unterkante auf die Tischplatte, um die Blätter darin gerade auszurichten, und legte die Mappe anschließend wieder ordentlich vor sich hin. »Abgemacht«, sagte sie. »Vom achten bis zum fünfzehnten August machen wir offiziell zusammen Urlaub.«
    Als ich meinen Löffel in mein leeres Cornflakes-Schüsselchen legte, wurde mir bewusst, warum ich bei dem Datumsofort

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