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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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als würde es zittern. Ich konnte immer noch nicht fassen, was ich soeben getan hatte. Nie wieder würde ich diese Geschichte zurücknehmen, ordentlich zusammenfalten und erneut an dem Ort verstauen können, wo ich sie die ganze Zeit, bis heute, aufbewahrt hatte. Egal was noch geschah   – von nun an würde ich mich für immer an Wes erinnern, denn indem ich ihm die Geschichte erzählt hatte, war er ein Teil von ihr geworden. Ein Teil meiner eigenen Geschichte.
    Wir fuhren an Delias Lieferwagen vorbei. »Ist das eurer?« Der Mann sah uns im Rückspiegel fragend an.
    »Ja«, antwortete Wes.
    »Ihr konntet es wohl nicht besser wissen«, sagte er. Im ersten Moment wusste ich nicht, was er meinte, doch als wir kurze Zeit später über eine niedrige Anhöhe gefahren und um eine Kurve gebogen waren, sah ich sie: eine hell erleuchtete Tankstelle. Das Neonschild im Fenster verkündete geradezu aufdringlich GEÖFFNET. »Ihr hattet keine Ahnung, wie nah ihr im Grunde dran wart«, setzte der Mann hinzu.
    »Nein, offensichtlich nicht«, meinte Wes.
    Als wir vor den Zapfsäulen anhielten, drehte ich mich zur Seite, weil ich Wes noch etwas sagen wollte. Doch er öffnete bereits die Tür, stieg aus und lief um den Wagen herum, um den Benzinkanister aus dem Kofferraum zu holen. Also blieb ich einfach hocken. Starrte ins Leere. Das Neonlicht flackerteüber mir. Der Mann ging in den Laden, um Zigaretten zu kaufen. Wes füllte den Kanister mit Benzin. Er stand mit dem Rücken zu mir und hielt die Augen auf die Anzeiger der Zapfsäule gerichtet, deren Zahlen unaufhaltsam weiterklickten.
    Ich blickte auf. Merkte, dass Wes sich umgedreht hatte und mich ansah. Innerlich ging ich sofort in Habachtstellung, um für das gewappnet zu sein, was ich in seinem Gesicht lesen würde. Sein Gesicht, das ich seit mehr als einer Stunde zum ersten Mal wieder deutlich erkennen konnte. Ich musste mich schützen. Schließlich hatte ich bei Jason die Erfahrung gemacht, dass er sich jedes Mal zurückzog, ja, mich abwies, wenn ich mich geöffnet hatte. Ich machte mich darauf gefasst, dass es mir mit Wes ebenso ergehen würde. Im Grunde ging ich fest davon aus.
    Aber als ich Wes’ Blick nun erwiderte, sah ich nur das Gesicht, das ich bereits kannte und das mir jetzt sogar noch vertrauter erschien als zuvor. Dieselben ebenmäßigen Gesichtszüge, dasselbe angedeutete Lächeln. Er signalisierte mir das Fenster runterzukurbeln.
    »Hey«, sagte er.
    »Hey.«
    Ich wartete. Was kam jetzt? Was für Worte würde er finden? Womit würde er versuchen die Situation erträglicher zu machen, sie vielleicht sogar zu entspannen?
    »Mir ist doch noch eins eingefallen«, sagte er.
    Perplexer Blick meinerseits. »Bitte?«
    »Suppengrün«, sagte er stolz und fügte rasch hinzu: »Und wehe, du behauptest jetzt, das sei nichts zu essen. Es ist ganz eindeutig was zu essen. Und dieses Mal werde ich nicht kampflos nachgeben. Dieses Mal habe
ich
Recht.«
    Ich lächelte. »Kein Kampf. Suppengrün gilt.«
    Der Kanister war voll, die Pumpe stellte sich automatisch ab. Wes hängte den Einfüllstutzen wieder an die Zapfsäule und schraubte die Verschlusskappe auf den Kanister. »Brauchst du irgendwas?«, fragte er.
    Ich schüttelte den Kopf.
    Wes ging los, um zu bezahlen.
    Neben meinen Füßen summte etwas. Mein Handy. Ich öffnete meine Tasche, holte es raus und drückte auf den Knopf, während ich es mir ans Ohr hielt. »Hal   –«
    »Wo bleibt ihr denn?«, fragte Kristy energisch. Im Hintergrund hörte ich Partygeräusche: Musik, laute Stimmen. »Wir machen uns Sorgen um euch. Monica dreht schon fast durch, sie kann sich gar nicht mehr beruhigen   –«
    »Wir hatten kein Benzin mehr.« Ich wechselte das Handy von einem Ohr zum anderen. »Ich habe dir auf deine Mailbox gesprochen. Wir waren in der Pampa gestrandet, mitten im Nirgendwo.«
    »Nachricht? Ich habe keine   –« Pause. Vermutlich checkte sie gerade zum ersten Mal an diesem Abend, ob sie Nachrichten auf ihrer Mailbox hatte. »Ach so . . . ja . . . meine Güte! Wo seid ihr? Alles okay?«
    »Ja, uns geht’s gut, macht euch keinen Kopf. Zum Glück hat uns jemand mitgenommen. Im Moment sind wir an einer Tankstelle.«
    »Da bin ich aber froh.« Ich hörte, wie sie die Information an Monica weitergab, deren Gesicht beim Zuhören bestimmt genauso ausdruckslos und gelangweilt wirkte wie sonst, da konnte sie sich vorher noch solche Sorgen gemacht haben. Oder auch nicht. Jetzt ertönte Kristys Stimme wieder durchs Handy:

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