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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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keine Frage. Aber durch so eine Einstellung katapultierst du dich in einen Bereich jenseits von gut und böse, bist überhaupt mit nichts und niemandem mehr zu vergleichen.«
    »Ich möchte nicht so sein, so . . . unvergleichlich.« Wes verdrehte die Augen. »Aber ich möchte endlich das Thema wechseln.«
    »Okay, du bist dran«, sagte ich.
    Ich warf einen Blick ins Haus. Kristy quatschte mit einem Typen im Rastalook. Monica hockte gelangweilt daneben (ganz was Neues). Berts lüsterner Blick hing an dem Mädchen, das gerade beim Münzenschnippen an der Reihe war; allerdings hatte sie, soweit ich es beurteilen konnte, die Tasse, die als Ziel diente, bereits sechsmal hintereinander verfehlt.
    »Warum ist dir Perfektion so wichtig?«
    Ich merkte, dass ich vor lauter Verblüffung über die Frage ein paar Mal blinzeln musste. »Stimmt doch gar nicht«, antwortete ich.
    Er beäugte mich skeptisch. »Wie heißt dieses Spiel noch mal?«
    »Aber es ist die Wahrheit«, sagte ich. »Mir persönlich ist es ziemlich egal, ob ich oder irgendwer anders perfekt ist oder nicht.«
    »Ich habe einen anderen Eindruck von dir.«
    »Und wie kommst du darauf?«
    Er zuckte die Schultern. »Jedes Mal, wenn du von deinem Freund sprichst, sagst du, er sei perfekt.«
    »Das stimmt ja auch«, entgegnete ich ihm. »Aber ich bin’s nicht. Das war unser Problem.«
    »Ach, Macy.« Wes warf mir einen Blick zu. »Ich meine, was heißt überhaupt perfekt?«
    Kopfschüttelnd führte ich mein Glas an die Lippen. Es war leer, aber ich brauchte dringend irgendetwas zu tun. »Ich glaube, es geht im Grunde gar nicht darum, perfekt zu sein«, sagte ich. »Es geht darum . . . keine Ahnung. Ich weiß es nicht. Die Kontrolle zu haben?«
    »Erklär mir das mal genauer.«
    Ich seufzte. »Ich weiß nicht, ob ich das kann . . .« Ausweichend drehte ich den Kopf, sah wieder Richtung Esszimmer. Wo waren Kristy, Monica, Bert? Jede Ablenkung wäre mir hoch willkommen gewesen. Doch die drei waren nirgendwo mehr zu sehen, und um den Esszimmertisch saß plötzlich auch niemand mehr. Also musste ich wohl oder übel antworten.
    »Als mein Vater starb, fühlte sich das an wie bei einem Erdbeben. Wackelig, schwankend, verstehst du? Damals habe ich damit angefangen, alles so gut wie möglich machen zu wollen, weil es mir irgendwie geholfen hat. Es hat mich abgelenkt, weil ich mich aufs Perfektsein-Wollen konzentrieren konnte. Und ich redete mir selbst ein, solange ich perfekt bin, also keine Fehler mache, kann mir nichts mehr passieren.«
    Wieder einmal traute ich meinen eigenen Ohren kaum. Wie kam ich dazu, Wes solche absolut intimen Dinge anzuvertrauen? Und das auf einer lärmenden Party, wo jede Menge Fremde und, was noch schlimmer war, Klassenkameraden von mir herumschwirrten. Quatsch   – im Grunde konnte ich mir keinen einzigen Ort vorstellen, wo ich wirklich gern und unbefangen darüber geredet hätte. Außer vielleicht in meinem eigenen Kopf, denn dort ergab es zumindest eine Art Sinn.
    »Das ist doch irgendwie ätzend«, meinte Wes schließlich leise. »Du verurteilst dich selbst von vornherein zum Scheitern, weil niemand immer perfekt sein kann. Das ist unmöglich.«
    »Wer sagt das?«
    Wes sah mich an. »Das Leben. Die Welt«, antwortete er und machte mit dem Arm eine ausladende Geste, als wären diese Terrasse, diese Party tatsächlich gleichbedeutend mit der ganzen Welt. »Das Universum. Reine Perfektion gibt es nicht. Und warum würdest du das überhaupt wollen? Dass alles perfekt ist, meine ich.«
    »Ich will nicht, dass alles perfekt ist«, antwortete ich. Und fügte in Gedanken hinzu: nur ich. »Ich will bloß   –«
    »Wir müssen«, sagte jemand neben mir. Als ich aufblickte, sah ich Monica, die wie üblich ihren Pony aus der Stirn pustete. Sie zeigte erst auf ihre Armbanduhr und dann Richtung Küche, wo Bert und Kristy bereits auf uns warteten.
    »Hast du ein Glück, dass es geklingelt hat«, meinte Wes und hüpfte vom Geländer. Ich ließ mich ebenfalls hinuntergleiten, allerdings etwas langsamer. Meine letzten drei Worte schwebten noch durch mein Bewusstsein. Was wollte ich? Ich hatte einen Jungen kennen gelernt, der Mackenund Fehler mochte, ja sogar Stärken darin sah, nicht automatisch Scheitern oder Versagen. Früher wäre ich nie draufgekommen, dass so jemand überhaupt existierte. Was wohl passiert wäre, wenn wir uns unter anderen Umständen kennen gelernt hätten? In einer anderen, einer perfekten Welt. Nicht in dieser.
     
    Mittlerweile hasste

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