Zwischen jetzt und immer
ich den Bibliotheksjob.
Es war einfach nervtötend da. Langweilig. Es erstickte einen. Dort drinnen war es so still, dass ich mir sicher war, ich würde mein Blut durch meine Adern rauschen hören, wenn ich nur aufmerksam genug lauschte. Würde hören, wie sich die Erdplatten knirschend gegeneinander verschoben. Würde sogar hören, wie die Zeit verging. Selbst wenn mein Tag gut angefangen hatte – in dem Augenblick, da ich durch die hohe Glastür trat und auf die Infotheke zulief, blieb alles stehen. Als ob man den Zeiger einer Uhr anhielt. Die Welt blieb stehen. Sank in tiefste Tiefen. Und verharrte da geschlagene sechs Stunden lang, die ich in dieser verfluchten Bibliothek festhing.
Eines Tages marschierte ich mit einem Riesenstapel angeschimmelter, muffiger Ausgaben von
Nature
durch den Lesesaal und kam gerade an einem besonders hohen Stapel irgendwelcher Fachzeitschriften vorbei, da hörte ich ein »Buh!«.
Ich zuckte zusammen, allerdings nicht sehr, denn allzu doll hatte ich mich nicht erschreckt. Dazu war das Buh zu leise gewesen. Warum das so war, klärte sich auf, als ich vorsichtig um den Zeitschriftenstapel herum in den angrenzenden Saal blickte. Da stand Kristy in einem weißen Plisseerock, einem kurzärmeligen, pinkfarbenen Flauschpullover und ihren weißen Gogo-Stiefeln. Die Haare hatte sie hochauf dem Kopf zusammengebunden. Außerdem trug sie eine gigantische Sonnenbrille mit weißem Rahmen sowie eine Fransentasche. Sie sah aus, als wollte sie zum Rodeo oder vielleicht in einer Disco im Käfig tanzen, aber keinesfalls so, als gehörte sie in die Abteilung Literatur, A bis E. Doch vor dem Regal stand sie.
»Hallo!« Sie sprach viel zu laut. Prompt warf uns ein Mann, der, den Arm voller Bücher, bei Literatur F bis K stand, einen missbilligenden Blick zu. »Wie geht’s?«
»Was machst du hier?«, fragte ich und schob den Zeitschriftenstapel etwas mehr auf meinen anderen Arm.
»Monica braucht Nachschub.« Kristy deutete auf ihre Schwester, die am anderen Ende des Lesesaals stand, Kaugummi kaute und mit mattem Blick ein paar Fachbücher begutachtete, die sie aus dem Regal gezogen hatte. »Sie ist der absolute Bücherwurm, verschlingt eins nach dem anderen. Ich stehe mehr auf Zeitschriften, aber weil ich mal sehen wollte, was du tagsüber so treibst, bin ich mitgekommen.«
Ich warf einen Blick Richtung Infotheke. Bethany hing am Telefon und tippte gleichzeitig wie wild auf ihrer Computertastatur. Doch Amanda, die neben ihr saß, schaute gerade zu uns herüber. Stimmt nicht ganz: Sie starrte Kristy an. Unverhohlen.
»Tja, hier arbeite ich tagsüber«, sagte ich.
»Wie heißt die mit dem Zopf?« Kristy schob die Sonnenbrille über ihren Haaransatz und erwiderte Amandas scharfen Blick ebenso unverhohlen. Was Amanda nicht davon abhielt, Kristy weiter anzustarren. Glaubte sie vielleicht, wir sähen sie gar nicht, oder was?
»Amanda«, antwortete ich.
»Ah ja.« Kristy hob eine Augenbraue. »Die kann ganz gut glotzen, was?«
»Scheint so.«
Kristy starrte Amanda weiter an und fing plötzlich an zu schielen, absichtlich natürlich. Was Amanda endlich zur Besinnung brachte. Hastig, angewidert senkte sie den Kopf und schlug das Buch auf, das vor ihr lag.
»Ihr Twinset ist allerdings nicht übel, muss ich leider zugeben«, sagte Kristy. »Ist das Merinowolle?«
»Keine Ahnung.«
»Ich wette, es ist Merinowolle.« Kristy schob den Riemen ihrer Handtasche auf ihrer Schulter etwas höher. »Monica und ich wollen einen neuen Imbiss in der Nähe ausprobieren. Angeblich gibt es da total köstliche Wraps und Tortillas. Kommst du mit?«
»Wraps und Tortillas?«, wiederholte ich leicht stupide. Bethany hatte aufgehört zu telefonieren. Sie und Amanda steckten die Köpfe zusammen und tuschelten, wobei sie immer wieder zu uns rüberschauten und danach postwendend den nächsten Kommentar abließen.
»Ja. Im Einkaufszentrum. Man kann sich die Tortillas angeblich mit tausend verschiedenen Sachen füllen lassen. Also natürlich nicht mit allem, was sie haben, aber man darf sich anscheinend ziemlich viel auf einmal aussuchen. Kannst du jetzt Pause machen?«
Ich warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. Viertel vor zwölf. »Ich weiß nicht genau«, antwortete ich. Amanda glitt gerade seitwärts von ihrem Stuhl herunter und stand auf, wobei sie mich keine Sekunde aus den Augen ließ. »Das ist keine so gute Idee, glaube ich.«
»Warum nicht? Du hast in diesem Laden doch irgendwann mal Mittagspause oder
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