Zwischen Krieg und Terror
beantworten, darf diese Art des Protestes nicht mit einer grundsätzlichen Bereitschaft zu revolutionären Aktivitäten - also mit dem Willen, das System zu stürzen - verwechselt werden. In Gesprächen mit jungen Leuten irritiert mich oft deren Sprunghaftigkeit. Fast alle kritisieren die existierenden Verhältnisse. In ihren Augen kann nur jemand Karriere machen, der auf Korruption setzt - also bereit ist, Amtsmissbrauch von Verwandten oder Bekannten auszunutzen - oder die Kunst der Verstellung beherrscht.
Meist sind es Menschen, die ich nicht kenne, die mit kritischen ÃuÃerungen nicht hinter dem Berg halten, wenn sie auf mich treffen. Sie nutzen nur zu gern jede Möglichkeit, Ausländern ihr Herz zu öffnen. Taxifahrten, Familienfeste und Empfänge bieten Gelegenheiten, von Skandalen zu berichten und die Fehler der Regierung aufzulisten. Doch es wäre falsch, solch eine Ablehnung der Verhältnisse mit der Bereitschaft zu verwechseln, sich aktiv für den Sturz des Regimes einzusetzen. Bei allem Wunsch nach sozialer und politischer Ãnderung wissen Iraner ihren seit Jahren steigenden Konsum sehr wohl zu schätzen.
Kritik und Stolz auf Erreichtes gehen oft nahtlos ineinander über. So lehnen Studentinnen die von der Staatsführung angeordnete islamische Kleiderordnung ab, um Sekunden später zu betonen, wie überlegen sie ihren männlichen Kommilitonen seien. Kampfsport und selbst Mannschaftssportarten wie FuÃball, bis vor wenigen Jahren reine Männerdomänen, werden mehr und mehr von Frauen erobert. Professoren, die noch vor Jahren ihre wissenschaftlichen Vorbilder im Ausland sahen, strotzen heute vor Selbstbewusstsein. Der Stolz auf das eigene Land und das Erreichte setzt der Beeinflussung von auÃen zunehmend Grenzen. Selbst das Auftreten der Staatsführung in der Atomfrage spiegelt diesen Trend wider.
Wie radikal die Iraner derzeit umdenken, zeigt sich an Menschen, die in den Tagen des Irakkriegs insgeheim auf das Eingreifen ausländischer Truppen im Iran setzen. »Hoffentlich bleibt uns das Schicksal Afghanistans und Iraks erspart«, kommentiert eine Dozentin heute entsprechende Verbalattacken von US-Präsident Bush gegen Iran. Noch vor zwei Jahren habe ich erlebt, wie sie sich bei einer Diskussion im Familienkreis den Einmarsch von US-Truppen wünschte. Auch die Bedeutung der Auslandssender für die politische Diskussion im Iran ist zurückgegangen. Viele Gegner der islamischen Führung haben angesichts der Entwicklung im Irak ihr Vertrauen in die Politik der US-Regierung verloren, weil sie Tag für Tag Zeugen des amerikanischen Desasters im Nachbarland werden.
Diese Woge neuen Selbstbewusstseins ist auch auf den ökonomischen Aufschwung in der Islamischen Republik zurückzuführen. Getragen von der Welle der sich stetig erhöhenden Ãlpreise, legt die Wirtschaft seit 2000 um jährlich etwa sechs Prozent zu. 23 Staatliche Firmen erhalten Geld für Investitionen, und die Infrastruktur wird groÃzügig ausgebaut. Die Einnahmen aus den Ãlexporten verhelfen der iranischen Führung aber nicht nur zum Aufbau des Landes, sondern auch zur Festigung der eigenen Macht. Infolgedessen sind Behauptungen von Oppositionellen oder Kritikern der islamischen Herrschaft, der Zusammenbruch des Systems stünde kurz bevor, unrealistisch und nicht besonders hilfreich. Sie sind geprägt von Wunschdenken und so alt wie die Islamische Republik.
Menschen, die über eine groÃe Krise klagen, fahren häufig im Neuwagen vor. Auf meine Frage nach dem neuen Gefährt bekomme ich zur Antwort, auch die Tochter habe zum zwanzigsten Geburtstag einen kleinen Peugeot erhalten. Der französische Automobilkonzern hat Lizenzen für verschiedene Modelle an den Iran verkauft. Der inländische Automobilsektor mit einer Jahresproduktion von einer Million Fahrzeugen bildet nur ein Beispiel für erhöhtes Wirtschaftswachstum und ein gesteigertes Konsumverhalten.
Die iranische Hauptstadt entwickelt sich zu einer Metropole, deren Puls von Wirtschaftsinteressen bestimmt wird. Hoch-häuser schieÃen wie Pilze aus dem Boden. Die Zwölf-Millionen-Stadt Teheran sucht Anschluss an die internationale Entwicklung. Vor allem die Jugend gibt sich dem Konsum hin. Angebote existieren im Ãberfluss. Junge Frauen haben schon lange gelernt, mit modischen Klamotten die enge Interpretation der islamischen Bekleidungsvorschriften zu lockern. Mit
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