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Zwischen Krieg und Terror

Titel: Zwischen Krieg und Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Tilgner
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einflussreichster schiitischer Würdenträger, ein gebürtiger Iraner, den von Iraks Präsident Hussein geforderten Aufruf zum heiligen Krieg zu verfassen. Sistani ruft die Schiiten im Falle eines Angriffs nicht zum Kampf gegen ausländische Invasionstruppen auf, sondern verlangt von den Gläubigen nur, ihr persönliches Gut und die religiösen Stätten zu verteidigen. Praktisch bedeutet dies, dass sich die Schiiten während des kommenden Krieges neutral verhalten sollen.
    So stoßen die Invasionstruppen im überwiegend von Schiiten bewohnten Südirak auch auf keinen nennenswerten Widestand der Zivilbevölkerung. Auch im Irakkrieg kehren von Revolutionswächtern ausgebildete und unterstützte Exilgruppen-Milizen in ihre Heimat zurück. In diesem Fall werden Gegner Saddam Husseins zur Unterstützung eines von US-Streitkräften geführten Angriffs in den Kampf geschickt. Praktisch sorgen die proiranischen Verbände in den von den US-Truppen eroberten Gebieten für Ruhe und halten den ausländischen Soldaten während ihres Vormarschs auf Bagdad den Rücken frei. In den Kriegswochen ist aus Washington kaum Kritik an der iranischen Führung zu hören.

Iran nächstes Kriegsziel der USA?
    Doch schon wenige Wochen nach der Einnahme Bagdads schlagen US-Politiker wieder andere Töne an. Als Präsident Bush am 1. Mai 2003 an Bord des Flugzeugträgers Abraham Lincoln die Kampfhandlungen im Irak für beendet erklärt, lässt er keinen Zweifel, dass er eine Weiterführung des Krieges für möglich hält: »Der Irakkrieg ist ein Sieg im Krieg gegen den Terror, der am 11. September 2001 begonnen hat und noch nicht zu Ende ist.« 8 Die Regierung in Washington macht deutlich, dass der Feldzug künftig gegen Iran und Nordkorea fortgesetzt werden kann, wenn nötig, ohne Unterstützung. »Wenn es keine Lösung ›made in America‹ geben soll«, warnt die damalige Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, »dann lasst uns herausfinden, wie wir die Fälle Nordkorea und Iran beilegen können.« 9 Mit diesen Worten weckt sie Erinnerungen an die Vorbereitungsphase des Irakkriegs.
    Ohne dass Gespräche mit der Regierung in Teheran gescheitert sind und ohne dass es zu einem offenen Konflikt zwischen Iran und der IAEA kommt, erklärt John Bolton, seinerzeit Staatssekretär im US-Außenministerium, wenige Tage später, Krieg müsse »eine Möglichkeit bleiben«, Iran an der Herstellung von Atomwaffen zu hindern. 10 Schließlich habe sein Präsident mehrfach betont, alle Optionen seien möglich. Die Wortwahl des Staatssekretärs auf einer Podiumsdiskussion lässt wenig Raum für eine diplomatische Lösung: »Die Schurkenstaaten müssen sich auf Konsequenzen einstellen: Dabei ist keine Option vom Tisch.« 11 Fast gleichzeitig erklärt der stellvertretende Außenminister Richard Armitage: »Es gibt in unseren Köpfen keinen Zweifel daran, dass Iran weiter ein Kernwaffenprogramm betreibt.« 12 Bemühungen, Iran ein aktives militärisches Atomprogramm nachzuweisen, sind nicht zu erkennen. Es sind jeweils Behauptungen, denen die Kriegsdrohungen folgen. Konkrete Hinweise auf ein in die Wege geleitetes Atomwaffenprojekt fehlen bis heute.
    Für die konservative Staatsführung im Iran bieten diese Drohungen willkommene Vorwände, die Reformer endgültig auszuschalten. Ihre Erfolglosigkeit ist nicht nur auf Behinderungen durch die Antireformkoalition zurückzuführen. Viele Anhänger wenden sich auch ab, weil die Reformer nicht bereit sind, konsequent für ihre Zusagen einzutreten. Natürlich werden die Reformkräfte bei Wahlen behindert. Doch der konservative Wächterrat kann auch deren sinkende Popularität nutzen, um die große Mehrheit ihrer Kandidaten von Wahlen auszuschließen, ohne einen Proteststurm fürchten zu müssen. Die vom Bruder des Präsidenten, Mohammad Reza Khatami, geführte Reformpartei zieht ihre dezimierten Kandidaten bei den Parlamentswahlen im Januar 2004 sogar zurück und ruft zu deren Boykott auf. Die Konservativen erringen fast 80 Prozent der 290 Parlamentssitze und können damit die Politik des Präsidenten bis zum Ende seiner Amtszeit weitgehend blockieren.
    Bei den Atomverhandlungen zwischen der EU und Iran bestehen seither geringere Möglichkeiten für einen Kompromiss, denn die konservative Parlamentsmehrheit in Teheran

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