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Zwischen Krieg und Terror

Titel: Zwischen Krieg und Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Tilgner
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geben. Vor allem auf den Straßen in den Sunnitenvierteln Bagdads spüre ich wachsendes Misstrauen. Während der Diktatur Saddam Husseins war der Kontakt zu Ausländern verboten, die Menschen reagierten scheu und ängstlich, wenn ich auf sie zuging. Anfang Mai kommt schließlich Feindseligkeit auf. Immer mehr Iraker sehen in den Ausländern Besatzer. Meine Kontaktversuche werden sehr häufig schroff abgeblockt, viele fallen in ihrem Verhalten in alte Muster der Saddam-Ära zurück.
    Wenn der oberste Zivilverwalter Iraks in solch einer Atmosphäre zehntausende Beamte und Angestellte entlässt, treibt er sie in die Arme der im Untergrund agierenden Funktionäre des alten Regimes. Hoch qualifizierte Techniker, kampferprobte Soldaten und erfahrene Offiziere werden vor den Kopf gestoßen. Denn Bremer lehnt offenkundig nicht nur ihr Kooperationsangebot ab, sondern er drängt sie auch in die Armut. Im politischen Chaos nach dem Sturz des Baath-Regimes geht diese Anordnung des US-Beamten unter, der ein Jahr später für seine Tätigkeit von seinem Dienstherrn Bush ausgezeichnet wird.
    Möglicherweise führen Bremers Fehlentscheidungen zum Tod Zehntausender Menschen, während die Chancen, den Irak zu demokratisieren, schwinden. Mag sein, dass den US-Verwaltern das Gespür fehlt, die Unterschiede zwischen der irakischen Armee und der Baath-Partei zu erkennen und daraus ihren Nutzen zu ziehen. Denn das Offizierskorps der irakischen Streitkräfte gilt im Gegensatz zu den elitären Republikanischen Garden und Kampfgruppen der Fedajin als eine der wenigen Institutionen des Landes, die nicht ausschließlich von Parteigängern Saddam Husseins durchsetzt waren. Diverse Säuberungsaktionen, verbunden mit den Hinrichtungen von Offizieren während der Herrschaft Saddam Husseins, belegen, wie notwendig es gewesen wäre, sich intensiv mit der Situation der Militärs auseinander zu setzen.
    Doch es kommt anders - eine Woche später, am 2. Juni, demonstrieren erneut Offiziere, diesmal protestieren sie gegen die US-Besatzer und kündigen auf Transparenten an, als »lebende Bomben« wiederzukommen. Weil ihr Angebot zur Zusammenarbeit abgelehnt wird, entscheiden sich die Offiziere für den Kampf gegen die, die sie für ihre Situation verantwortlich machen. Es beginnt mit einer Welle von Anschlägen gegen die Besatzungstruppen, mit einer erhöhten Anzahl toter US-SOLDATEN als Folge, und die Aussichten, im Irak eine demokratische Gesellschaft aufzubauen, verfinstern sich. Vor allem in den sunnitischen Städten am Euphrat häufen sich bewaffnete Angriffe auf die Amerikaner, da aus dieser Gegend die meisten der von Bremer entlassenen irakischen Offiziere stammen.
    Ein dichtes Netzwerk von Untergrundgruppen organisiert Anschläge, wobei sich auch die Stadt Falludjah zu einem Zentrum des Widerstands entwickelt. Dort hatten US-Truppen Ende April in eine Demonstrationsmenge gefeuert und dabei zwölf Menschen getötet. Ein gefährliches Bündel von Motiven hält unterschiedliche Organisationen zusammen. Neben dem Wunsch nach Rache werden Bestrebungen stärker, die ausländischen Truppen generell aus dem Land zu vertreiben. Die politische Katastrophe äußert sich darin, dass die US-Militärs die Eroberung Iraks zwar exakt geplant hatten, jedoch nicht mit anhaltendem bewaffnetem Widerstand rechneten. Und auch von etwaigen Schwierigkeiten beim Aufbau einer neuen Gesellschaft hatten sie kaum mehr als eine vage Vorstellung.
    Präsident Bush offenbart seine Naivität bezüglich der Probleme Iraks erst, als er rückblickend Fehleinschätzungen einräumt: »Wenn eine Krise heranreift oder Hilfe notwendig wird, werden die USA bereit sein. Eine Lektion, die wir im Irak gelernt haben, besteht darin, dass das Militär schnell und überall auf der Welt eingesetzt werden kann, das Gleiche jedoch nicht für US-Regierungsmitarbeiter gilt.« 6 Der Glaube, die Probleme eines besetzten Landes wie des Iraks könnten durch die raschere Entsendung von »Fachleuten« aus Washington beseitigt werden, offenbart ein tiefes Misstrauen gegenüber der Bevölkerung anderer Länder. Sie wird für das Scheitern des Aufbaus dort verantwortlich gemacht. Die Tendenz, die eigenen politischen Fehler im Irak auf andere zu projizieren, kann sich gerade dann als gefährlich erweisen, wenn dies vor allem mit Blick auf dessen Nachbarland geschieht. Zu

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