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Zwischen Krieg und Terror

Titel: Zwischen Krieg und Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Tilgner
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gerne würden Teile der US-Administration der Islamischen Republik Iran die Rolle des Sündenbocks für die Schwierigkeiten im Irak zuschreiben.
    Genauso fahrlässig, wie die Führung der Besatzungstruppen das Kooperationsangebot der irakischen Offiziere ablehnte, hatte sie es auch versäumt, sich der gewaltigen Waffen-, Munitions- und Sprengstofflager der irakischen Streitkräfte zu bemächtigen. Selbst große Mengen Sprengköpfe, Panzerabwehrminen und Antipersonenminen waren nicht konfisziert worden, obwohl Mitarbeiter internationaler Organisationen die genauen GPS-Koordinaten der Waffenarsenale der Zivilverwaltung und einem Stützpunkt der US-Armee meldeten.
    Eines der Lager, die systematisch geplündert werden, befindet sich in der Militärhochschule an der Straße zwischen Bagdad und Bakuba. Dort lagern hunderte Raketensprengköpfe. Wahrscheinlich dient dieses - gut versteckte - Material bis heute dazu, die im amerikanischen Militärjargon »improvisierte Sprengstoffvorrichtungen« genannten Bomben zu bauen, mit denen Aufständische Fahrzeuge der US-Streitkräfte in dieser Region angreifen.
    Die britischen und amerikanischen Soldaten überlassen den Aufständischen nicht nur die Depots in den Armeestützpunkten und anderen Lagern, sondern sie bemühen sich in den Wochen nach der Besetzung Iraks auch nicht, die Verstecke aufzuspüren, die Kampfgruppen der Baath-Partei für einen Bürgerkrieg oder die Auseinandersetzung mit den ausländischen Invasoren angelegt haben. Dies ist ein weiterer Ausdruck der fatalen Fehleinschätzung im Irak.

Der Krieg der Sunniten
    Für die US-Soldaten gibt es nach dem Sturz Saddam Husseins nur wenige Wochen Ruhe, denn in Bagdad nehmen die Spannungen zu. Mit Lautsprecherdurchsagen auf Arabisch versuchen Propagandatrupps der US-Armee die Bevölkerung zu überzeugen, dass sie nicht als Besatzer, sondern als Befreier gekommen sind. Als ich das erste Mal eine Propagandakolonne der 3. Infanteriedivision begleite, erschüttert mich die Naivität der Lautsprecherdurchsage. Bei den Bewohnern des Sunnitenviertels Aadhemiya in Bagdad verfehlt der von einem Tonbandgerät abgespielte Appell seine Wirkung. Viele reagieren sogar mit Spott. Für sie sind die Amerikaner zu diesem Zeitpunkt bereits Besatzer. Wenn die US-Armee sich bemüßigt sehe, dies per Lautsprecher zu dementieren, dann müsse es schon schlimm um sie bestellt sein, erklärt mir eine Lehrerin.
    Noch Anfang Mai kann ich ohne Probleme Mitglieder eines Stadtteilkomitees interviewen. In den Tagen nach dem Einmarsch der US-Truppen haben sich Männer aus dem Stadtteil Aadhemiya zusammengetan, um Einbrecher von den Geschäften ihres Viertels fernzuhalten. Kleine Gruppen Bewaffneter beziehen auf Plätzen oder den Dächern von Häusern Posten. Doch bereits im selben Monat bilden sich im Umfeld der Komitees, die sich anfangs nur zum Selbstschutz gegründet hatten, erste Widerstandszellen gegen die US-Soldaten. Kontakte oder gar Gespräche mit den Aktivisten, die sich daraufhin nur noch an geheimen Orten treffen, werden mir in Zukunft verwehrt. Nicht einmal acht Wochen nach dem Sturz Saddam Husseins hat ein Politikprofessor aus Aadhemiya keine Zweifel mehr, dass es in seinem Viertel zu Angriffen auf US-Soldaten kommen wird. Er vermutet, dass in verschiedenen Stadtteilen Bagdads Mitglieder von Komitees sich auf bewaffnete Auseinandersetzungen mit US-Truppen vorbereiten.
    Vor allem junge Männer sind bereit, die Amerikaner zu bekämpfen. Geeint in der Feindschaft gegen die ausländischen Truppen, trennen sie politisch oft Welten. »Wahhab« nennt sich einer von ihnen. Mit seinem Aliasnamen signalisiert er bereits seine religiöse Orientierung. Der Bäckergehilfe wurde von Glaubensbrüdern in der Moschee angeworben und fühlt sich wie Osama bin Laden als Wahhabit. Der Wahhabismus, der in Saudi-Arabien Staatsreligion ist, stellt eine besonders rigide Variante des sunnitischen Islam dar.
    Wahhab erzählt mir voller Stolz, dass seine Gruppe auch mit Offizieren des ehemaligen Geheimdienstes in Verbindung stehe.
    Dass die Baathisten am gemeinsamen Gebet teilnehmen, gilt dem Bäckerburschen als Beweis für die Läuterung der Agenten des einstigen Regimes. Eigentlich lehne er die Zusammenarbeit mit den Funktionären des alten Systems ab, doch im Kampf gegen den gemeinsamen Feind müsse man Kompromisse eingehen. Wahhab bestätigt

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