Zwischen Krieg und Terror
ab.
Offiziell begründen Schiitenpolitiker die Bildung von Volkskomitees mit dem Kampf gegen Terrorismus, praktisch betrachten sie es nur als Rechtfertigung, eigene Interessengruppen zu bewaffnen. Es ist ein doppeltes Spiel. Hadi Al Amiri, der Anführer der Badr-Milizen, fordert einerseits eine Bewaffnung von Zivilisten, bedauert im selben Atemzug jedoch die Bildung verschiedener bewaffneter Gruppierungen. Dabei bezeichnet er sogar die Bodyguards von Politikern oder die unterschiedlichsten Sicherheitsdienste, die Restaurants oder Firmengelände bewachen, als Milizen. 8 Es ist scheinheilig, die Schaffung bewaffneter Verbände als eine der Voraussetzungen für eine gröÃere Sicherheit zu werten. Denn praktisch verstärken sie Bürgerkriegsgruppen, die dafür verantwortlich sind, dass die jeweiligen Minderheiten aus den Gebieten der Mehrheiten vertrieben werden, und die Mauern des Hasses zwischen Sunniten oder Schiiten stetig erhöhen.
Mit eigenen Fernsehkanälen heizen die Parteien die Stimmung auf. Nach dem Sturz Saddam Husseins sind mindestens zwanzig neue TV-Stationen im Irak entstanden. Einzig der staatliche Sender »Irak« berichtet mit seinen Teams weitgehend neutral aus dem gesamten Land. Die Sender der Schiiten oder der Sunniten strahlen immer wieder Programme gegen politische Gegner aus. Ihre Teams können nur aus dem jeweiligen Einzugsgebiet berichten. Unter den Schiitensendern ist »Euphrat«, die Fernsehstation des »Obersten Rates der Islamischen Revolution«, am weitesten verbreitet. Grundsätzlich werden die Schiiten hier als Opfer der konfessionellen Auseinandersetzungen gezeigt.
Die Zentrale des Senders befindet sich auf dem Ostufer des Tigris, in dem vor allem Schiiten leben. In den Programmen von »Bagdad«, dem Sunnitensender auf der westlichen Seite des Flusses, werden die schiitischen Organisationen »terroristische Milizen« genannt und für die Eskalation der Gewalt verantwortlich gemacht. Auch die kurdischen Organisationen haben eigene Stationen. Auf die jeweils andere Bevölkerungsgruppe wirken die Programme befremdlich. Für die Einwohner der Schiitenhochburgen Nadjaf und Kerbala grenzen die Beiträge des Sunnitensenders Bagdad bereits an feindliche Propaganda. Die kurdischen Kanäle vergleichen sie mit ausländischen Stationen.
Die politische und kulturelle Spaltung wird durch eine unterschiedliche wirtschaftliche und soziale Entwicklung verstärkt. Konnte im Jahr nach dem Sturz Saddam Husseins in ganz Irak noch ein gewaltiges Wirtschaftswachstum von nahezu fünfzig Prozent verzeichnet werden, so waren es 2005 nur noch fünf Prozent. 9 Und die Entwicklung ist weiterhin rückläufig. Vor allem die Sunnitenregion leidet darunter. So nimmt die Unterernährung von Kindern bis zum fünften Lebensjahr zu. Da die staatliche Versorgung nicht mehr richtig funktioniert, sind vor allem die armen Familien von der zunehmenden Inflation betroffen, die im Sommer 2006 bereits siebzig Prozent beträgt. 10
In dieser Zeit der Krise haben die Stämme noch zusätzlich an Bedeutung gewonnen, weil sie die Verschlechterung der staatlichen Beschäftigungs- und Versorgungsstruktur auffangen. Einzelne Stammesmitglieder erhalten verstärkt Unterstützung und Schutz in der traditionellen Gemeinschaft, als Gegenleistung wird von den Clan- und Stammesführern absoluter Gehorsam oder zumindest Loyalität erwartet. Da, wie bereits erwähnt, viele der Bewohner der sunnitischen Siedlungsgebiete, in denen zudem gekämpft wird, in der irakischen Armee dienten, sind sie besonders betroffen: Auf eine Beschäftigung als Beamte oder Angestellte können sie kaum hoffen. Die Arbeitslosigkeit ist auch so hoch, weil die Sunniten bei der Bewerbung um einen Posten benachteiligt werden.
Dagegen profitieren die Schiiten- und Kurdenregionen von dem Aufbau der neuen staatlichen Strukturen. Sie haben bereits weniger Entlassungen zu befürchten und werden jetzt verstärkt für die Errichtung des neuen Sicherheitsbereichs rekrutiert. In der Kurdenprovinz Sulaimaniyah ist jeder zwölfte der 1,6 Millionen Bewohner im öffentlichen Dienst beschäftigt. Der von den Parteien kontrollierte Staatsapparat schafft Beschäftigungsmöglichkeiten, die aufgrund ihrer Sicherheit auch Revolten entgegenwirken und politische Loyalitäten fördern.
Auch die Bildung der groÃen Schiitenmilizen lässt sich nur dadurch bewerkstelligen,
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