Zwischen Krieg und Terror
US-Luftwaffe und dem Vormarsch der Milizen der Nordallianz brach die Herrschaft der in Pakistan ausgebildeten »Gotteskrieger« im Herbst 2001 binnen kürzester Zeit zusammen. Anders als im Irak waren Regimegegner entscheidend an dem militärischen Erfolg beteiligt. In den kleinen Städten und Dörfern Zentral-afghanistans flohen die Talibankommandos und ihre von Al Kaida geschickten arabischen Instrukteure, ohne den geringsten Widerstand zu leisten. Ãberall im Land wuchs die Hoffnung auf ein besseres Leben. Schnell sprach sich unter den Menschen herum, dass Länder aus aller Welt bereit waren, den Wiederaufbau des Landes mit Milliarden von Dollars zu unterstützen. Ausländische Soldaten und Helfer der unterschiedlichsten Organisationen wurden nach Afghanistan beordert, um den erneuten Ausbruch eines Bürgerkriegs zu verhindern und einen möglichst schnellen Neuanfang zu organisieren. Fünf Jahre später droht sich diese Kampagne zur Sicherung der inneren Ruhe und zum Aufbau eines demokratischen Staates in einen Feldzug gegen Aufständische zu wandeln. Fremden Soldaten und ausländischen Helfern gelingt es nicht, im Land für Sicherheit zu sorgen und die Zerstörungen der Kriege seit 1978 auch nur ansatzweise zu beseitigen. Teile der von Paschtunen bewohnten Südprovinzen des Landes werden wieder von Aufständischen kontrolliert, der Mohnanbau und die Opium- oder Heroinherstellung erreichen Rekordniveau, Afghanistan erlebt die schlimmste Gewaltwelle seit dem Sturz der Taliban im November 2001. Täglich kommt es zu Gefechten zwischen Einheiten der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) und Talibankommandos. In den ersten acht Monaten des Jahres 2006 wurden zweitausend Menschen getötet.
Dabei belasten die Probleme der USA im Irak auch die Entwicklung in Afghanistan. Unter den Feinden der USA, vor allem bei den Taliban, verstärkt sich der Eindruck, ausländische Soldaten seien mit einfachen Mitteln zu besiegen. In der eigenen Niederlage wird nur ein Rückschlag und kein grundsätzliches Scheitern gesehen - im Gegenteil: Die Taliban fühlen sich bestätigt. Waren sie während ihrer Herrschaft in Kabul isoliert und konnten lediglich auf Unterstützung durch Saudi-Arabien hoffen, so sehen sie sich heute als Teil einer internationalen radikalislamischen Bewegung. Dies hat nicht nur ideologische Auswirkungen. So nutzen die Aufständischen auch verstärkt im Irak entwickelte Kampftaktiken wie Selbstmordanschläge, die für Afghanistan eigentlich eher ungewöhnlich sind. Attentäter rasen dabei mit Fahrzeugen nicht nur in Konvois ausländischer Truppen. Zunehmend setzen die Taliban Selbstmordattentäter auch gegen zivile Ziele ein, anfangs vor allem in der Hauptstadt Kabul.
Ãhnlich wie in Irak sorgt das Auftreten ausländischer Soldaten nicht für eine Beruhigung der Lage, sondern ihre Anwesenheit trägt vielmehr zur Eskalation bereits schwelender Konflikte bei oder löst diese sogar aus. Allein seit dem vergangenen Winter sind die Verluste der an Kampfeinsätzen beteiligten ausländischen Soldaten mindestens so hoch wie die im Irak, wenn man berücksichtigt, dass in Afghanistan nur etwa ein Fünftel der im Irak operierenden Truppen im Einsatz ist.
Mit ihren Aktionen haben die Taliban und andere Gruppierungen bereits eine psychologisch wichtige Veränderung im Verhalten der ausländischen Soldaten bewirkt. So fahren diese nicht mehr ungesichert in offenen Wagen durch Dörfer und Städte, kaufen nicht mehr so selbstverständlich wie noch vor einem Jahr in Bazaren ein und werden auch immer öfter über Luftbrücken versorgt. Diese Abschottung gegenüber der afghanischen Bevölkerung erleichtert es den Angreifern, die Barrieren zwischen den ausländischen Soldaten und der Zivilbevölkerung zu erhöhen. Für die Soldaten wird es damit bedeutend schwieriger, als Helfer wahrgenommen und akzeptiert zu werden.
Die Ausweitung des Einsatzgebiets der ISAF-Truppen Anfang August 2006 auf Südafghanistan und die Ãbernahme von Kampfaufgaben, an denen bisher nur die US-Truppen beteiligt waren, verändert den Charakter des ursprüglichen Entsendungsauftrags weiter. Wurden die ISAF-Kontingente im Dezember 2001 mit Billigung der Vereinten Nationen nach Afghanistan geschickt, um den Wiederaufbau zu unterstützen und bei der Bildung demokratischer Strukturen zu helfen, so steht heute die
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