Zwischen Krieg und Terror
dass deren Führer die Finanzierung mit Geldern aus dem Staatshaushalt sichern, anders wäre es gar nicht möglich, Zehntausende in Milizen und Parteigruppen zu organisieren, wie es die schiitische SCIRI gemacht hat. Dabei ist für die Zentralregierung die Entstehung bewaffneter Verbände ausgesprochen gefährlich, weil diese paramilitärischen Organisationen den politischen Parteien die Beherrschung ganzer Landesteile gewährleisten könnte.
Würden einer autonomen Schiitenregion nach dem Beispiel der Kurden Anteile an den Ãleinnahmen direkt zugeteilt, so könnte die SCIRI etwa sechzig Prozent der irakischen Staatseinnahmen kontrollieren. Allein dieser finanzielle Anreiz bestärkt die proiranische Partei in ihrem Bestreben, alle Konkurrenten im Süden des Landes auszuschalten und eine klare Trennungslinie zu den Sunniten zu schaffen. Wegen der gewaltigen Ãlvorkommen im Südirak wünschen sich viele Schiiten dort ein eigenes Staatswesen. Sie sehen in der Schwäche der Sunniten und in dem Schutz durch die US-Truppen vor deren Angriffen eine historische Chance, sich aus dem Irak zu lösen. Ãhnlich wie die Kurden befürchten sie, dass eine starke Zentralregierung über kurz oder lang wieder die Kontrolle über die Gebiete im Norden und Süden anstreben wird, die sich nach dem Sturz Saddam Husseins weitgehend der Zentralgewalt entzogen haben. Massoud Barzani, der Präsident der Autonomen Kurdenregion, hat bereits mehrfach auf Veranstaltungen seiner Demokratischen Partei Kurdistans die Bildung eines eigenständigen Staates als langfristiges Ziel bezeichnet.
Mit der Besetzung des Landes haben die Truppen der USA und GroÃbritanniens den vom alten Regime unterdrückten politischen Kräften zusätzliche Möglichkeiten geschaffen, sich unabhängig von der Zentralregierung zu organisieren. Die Auflösung groÃer Teile des alten Staatsapparats zerbrach jene Klammern, welche die einzelnen Teile Iraks noch zusammenhielten, ohne jedoch neue, das Land einende Impulse auszustrahlen. Mit dramatischen Ergebnissen endete die erste freie Wahl am 30. Januar 2005. Die Schiiten errangen die absolute Mehrheit der Sitze, die Kurden mehr als ein Viertel. Da die Sunniten die Wahl boykottierten und gesamtirakische Parteien eine katastrophale Wahlniederlage erlitten, konnte sich das Parlament nicht zum neuen politischen Zentrum Iraks entwickeln. Die zweite Wahl - knapp elf Monate später - brachte keine grundsätzliche Ãnderung. Zwar waren die Sunniten besser vertreten, doch die Zerrissenheit des Landes trat angesichts der Zusammensetzung der Abgeordneten nur noch deutlicher zutage. Denn der einzige Unterschied bestand darin, dass nun die Sunniten auch eine Interessenvertretung im Parlament hatten. Der demokratische Neuanfang entpuppte sich als politische Katastrophe.
Dabei hatten die Wähler sich von der Abgabe ihrer Stimme erhofft, die Entwicklung positiv beeinflussen zu können. Etliche von ihnen waren unter Lebensgefahr zu den Wahllokalen gegangen. Die Atmosphäre am Tag der ersten Wahl war gespenstisch. Aus Angst vor Anschlägen, die Anhänger Saddam Husseins und Untergrundgruppen angekündigt hatten, wagten sich in den Morgenstunden nur sehr wenige auf die StraÃen. Bagdad war wie ausgestorben. Aber schlieÃlich brachen die Dämme. Zuerst trauten sich einige Männer, ihre Stimmen abzugeben, dann kamen ganze Familien und in den Abendstunden die Gebrechlichen und Alten. In Bagdad entstand eine Feststimmung, gefeiert wurde das endgültige Ende der Saddam-Ãra, die durch seine Anhänger ausgelöste Kampagne der Angst hatte ihre Wirkung verloren. Denn der Diktator hatte über die Drohungen seiner Kommandeure weiter das Denken vieler Iraker beeinflusst.
Doch damit bleibt die Wahl eher ein Symbol des Endes einer Epoche und wird nicht zum Fanal für den Neuanfang. In den Stunden der Stimmabgabe ist noch nicht erkennbar, dass den neuen Abgeordneten die Kraft fehlen wird, das Parlament zum politischen Zentrum des neuen Irak zu machen. So richtig deutlich wird dies erst elf Monate später nach der zweiten Parlamentswahl. Während von Mitte Dezember bis zum April hinter den Kulissen bei Geheimverhandlungen das Tauziehen um den neuen Ministerpräsidenten stattfindet, sind die Abgeordneten zur Tatenlosigkeit verdammt. Auch konnte die Ãberbrückungszeit bis zu den Wahlen nicht genutzt werden, Grundlagen für einen
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