Zwischen Krieg und Terror
würde die Verantwortung für die Verbrechen auf mehrere verteilt.
Auch im Irak können Terroristen von der Verwirrung profitieren, die durch Spekulationen über die Täter der groÃen Terroranschläge entsteht. Wenn Zarqawi monatelang als Phantom bezeichnet wird, kann er seinen Plan zur Torpedierung des Neuaufbaus des Landes schrittweise umsetzen, ohne dass ihm Sabotageakte eindeutig zugeschrieben werden können. Immer wieder habe ich in Bagdad erlebt, dass Iraker überzeugt waren, die US-Streitkräfte seien für die Anschläge auf Schiiten oder auch auf die internationalen Organisationen verantwortlich. Sie fühlen sich in ihrer Auffassung bestärkt, die eigentliche Absicht der USA bestehe gar nicht darin, einen demokratischen Irak zu schaffen. Vielmehr sei das Land besetzt worden, um es zu zerstören. Terroristen und viele Kritiker der USA haben eine Art stille Koalition gebildet. Der Al Kaida im Irak kommt diese Art der bewussten oder unbewussten Unterstützung sehr gelegen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie von unterschiedlichen Hochschulgruppen in Europa oder phantasierenden Verschwörungstheoretikern in allen Teilen der Welt stammt. Terroristen nutzen Zweifel an ihrer Täterschaft systematisch, um die eigene moralische Isolation zu durchbrechen.
Viele Araber haben anfangs mit Abscheu auf die Anschläge von New York oder die Ermordung von Schiiten im Irak reagiert. Es bedurfte eines Gewöhnungseffekts, um diese Verbrechen als Taktik in einem groÃen Kampf zu sehen und damit akzeptieren zu können. So ist es kein Zeichen der Schwäche, wenn Al Kaida erst fünf Jahre später Dokumente veröffentlicht, die die Verbindungen zu den Tätern der Anschläge des 11. Septembers belegen und damit Beweise für die die Urheberschaft nachreicht. Entsprechende Videofilme wirken vor allem in der arabischen und islamischen Welt anders, wenn sie in der Rückschau gesehen werden. Die Propagandisten von Al Kaida profitieren von der Empörung über das US-Gefangenenlager Guantanamo und die Straftaten an irakischen Häftlingen im Gefängnis von Abu Ghraib, um die eigenen Verbrechen in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Die übergroÃe Mehrheit der Araber glaubt, dass die USA mit ihrem Krieg gegen Saddam Hussein dem Friedensprozess im Nahen Osten geschadet und die Chancen für eine Demokratie im Irak verringert haben. Eine Befragung der Universität Maryland hat auch ergeben, dass Araber in dem Krieg eine Ursache für die Zunahme des Terrorismus sehen. 5
Diesen Trend benutzt Al Kaida, um ihre Terrortaktik, nämlich die Angriffe auf zivile Ziele, zu einem Mittel legitimer Kriegführung zu stilisieren. Ohne groÃe Angriffsflächen zu bieten, hat sich die Organisation in der ersten Phase des US-Feldzugs gegen den Terror eingeigelt, um ihre Zerschlagung zu verhindern. In dieser Phase wurden Bündnispartner in der Auseinandersetzung mit der westlichen Welt gesucht. Bildet vor allem der Wahhabismus, die in Saudi-Arabien gelehrte Form des Islam, die Grundlage der von Bin Laden entwickelten Ideologie, so versucht die Organisation sich verstärkt als Verfechter der wahren Lehre des Islam auszugeben. In den Terrorgruppen Iraks, den radikalen sunnitischen Kampfbünden Pakistans und den Salafisten in Algerien und anderen Staaten Nordafrikas hat Al Kaida Bündnispartner gefunden, um ein stabiles Netzwerk aufzubauen. Statt neue Mitglieder zu rekrutieren und auszubilden, kann sie sich durch die Angliederung von Kaderstrukturen ehemals sympathisierender Gruppen viel schneller erweitern. Diese VergröÃerung der Organisation ist trotz des enormen Drucks der Geheimdienste und Spezialeinheiten verschiedener westlicher Staaten gelungen.
Am wichtigsten für den Erfolg von Al Kaida ist das Bündnis mit den unterschiedlichsten Organisationen, die gegen ausländische Truppen vor allem im Irak und in Afghanistan, aber auch in Saudi-Arabien und anderen Ländern kämpfen, in denen fremde Truppen stationiert sind. Hier versucht Al Kaida, möglichst weitreichende Koalitionen einzugehen. Systematisch beziehen Bin Laden und Sawahiri globale Gegenpositionen zum Auftreten der USA und anderer westlicher Staaten in der islamischen Welt. Bis zum Irakkrieg war Al Kaida ein Sammelbecken für Anhänger der Idee des weltweiten heiligen Krieges, also für Menschen, die entschlossen sind, einen Krieg gegen die »Kreuzritter und deren Diener«
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