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Zwischen Krieg und Terror

Titel: Zwischen Krieg und Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Tilgner
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oberflächlich nach. Wie muss es dann auf Afghanen wirken, wenn die US-Außenministerin persönlich ihr Beileid bekundet, als ein kanadischer Soldat bei einem Angriff der US-Luftwaffe irrtümlich getötet wird? 9
    Genau wie die Drogenbarone das Elend der Bauern und den herrschaftsfreien Raum der ländlichen Regionen nutzen, um den Mohnanbau auszudehnen, bilden Korruption, Misswirtschaft und Unterentwicklung im Bereich der Paschtunengebiete den Nährboden für die gewaltsamen Auseinandersetzungen der Taliban mit den ausländischen Soldaten. Die Taliban konnten ihre großen Erfolge in den neunziger Jahren durch ihre Bekämpfung der Korruption und westlicher Einflüsse erzielen. Nun beschwören sie den Geist des - siegreich beendeten - Krieges gegen die sowjetischen Besatzungstruppen in den achtziger Jahren und gegen die korrupten Gruppierungen, die sich nach dem Abzug der Sowjetarmee im Bürgerkrieg bekämpften.
    Auch heute predigen die Taliban die Schaffung eines islamischen Staates ohne Korruption und frei von ausländischen Einflüssen. Ihre Ideologie hat trotz der Niederlage im Krieg 2001 und der Vertreibung nach Pakistan überlebt. Dort wurden neue Kader für den Kampf ausgebildet. Ich habe die Hakkania-Schule bei Peshawar im Herbst 2004 besucht. In dem karg eingerichteten Internat sind acht Mitglieder des ehemaligen Talibanregimes ausgebildet worden. Für Sami Ul Haq, den Direktor der Hakkania, der auch Abgeordneter im pakistanischen Parlament ist, steht die Bekämpfung von Korruption und Verdorbenheit auf dieser Welt im Mittelpunkt der Erziehung. Im Auftreten der Amerikaner sieht er eine Quelle für die Verbreitung des Bösen. Er ist überzeugt, dass es den Afghanen gelingen wird, die US-SOLDATEN aus ihrem Land zu verjagen. 2004 gelten die Taliban als militärisch und politisch geschlagen. Doch Ul Haq erinnert an den Krieg der Afghanen gegen die sowjetischen Besatzer. Bei diesen blutigen Kämpfen seien zwei Millionen Afghanen gestorben, auch der Kampf gegen die USA werde mit äußerster Konsequenz geführt. Die Argumentation des Direktors der Schule ähnelt frappant jener von Osama bin Laden: »Solange die teuflischen Hände Amerikas in Afghanistan oder einem anderen islamischen Land am Werke sind, werden die Probleme dieser Länder nicht gelöst werden«, gibt er mir mit auf den Weg. Sechshundert junge Männer verlassen jährlich die radikalislamische Schule, darunter viele Afghanen, die dann in ihrer Heimat gegen ausländische Soldaten kämpfen und als Taliban bezeichnet werden.
    Wer sie mit Drogenbaronen und Warlords gleichsetzt, unterschätzt die Ausstrahlung dieser jungen Paschtunenkrieger, die den Tod nicht fürchten. Und ausländische Soldaten, die nach Kampfeinsätzen in hermetisch abgeriegelte Lager zurückkehren, werden die Bevölkerung kaum dazu bringen können, den Widerständlern Schutz und Zuflucht zu verweigern, insbesondere wenn sie auf dem Terrain ihrer eigenen Stämme kämpfen. Ob die meisten Aufständischen den Taliban angehören, wie die Offiziere der US-Armee oder der NATO-Verbände immer wieder behaupten, ist nicht bewiesen. Denn nur zu oft verschwinden die Kommandos genauso schnell, wie sie zugeschlagen haben. In den ländlichen Regionen Süd- und Ostafghanistans können sich die Bewaffneten weitgehend ungehindert betätigen, da diese Landesteile weder von der Regierung in Kabul noch von den NATO-Verbänden kontrolliert werden.
    Zu einer Zusammenarbeit mit den Stämmen gibt es keine Alternative, und die kann mit militärischen Mitteln nicht erzwungen werden. Doch solange die Gelder für den Wiederaufbau im Netzwerk der Korruption versickern und Projekte von bestimmten Volksstämmen bevorzugt werden, wird sich die Lage in Südafghanistan nicht beruhigen. Solange keine Schulen und Straßen gebaut und keine Strom- und Wasserversorgung eingerichtet werden, ist es ein Geist des Widerstands, der die Politik im Süden Afghanistans bestimmt.
    Mit der Einrichtung von Schulen und Gesundheitsstationen im Osten des Landes gibt die deutsche Organisation »Kinderhilfe Afghanistan« ein Beispiel dafür ab, wie erfolgreich Entwicklungsprojekte in den Paschtunengebieten durchgeführt werden können. Mit ihnen werden Brücken zwischen Orient und Okzident geschlagen und Wege aufgezeigt, wie sich ein Kampf und erst recht ein Krieg der Kulturen vermeiden lässt.

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