Zwischen Licht und Dunkel
Tourismusbranche – vertreibt sich seine Zeit so: im Sommer ist er als Reiseleiter unterwegs, im Winter unterrichtet er an diversen Reiseleiter- und Tourismus(hoch)schulen. Ganzjährig betreut er außerdem die Website des isländischen Reiseleiterverbandes – ehrenamtlich. Gerne und häufig schreibt und photographiert mein Gefährte zudem für Zeitungen, Zeitschriften oder Broschüren. Übersetzungen stehen auch immer wieder an. Er ist im Vorstand unserer Hausgemeinschaft aktiv und als begabter Hobbyhandwerker ihr offizieller Hausmeister. Auch im Familien- und Bekanntenkreis zimmert, streicht und pflastert er. Bestimmt habe ich etwas vergessen, aber nach Stefáns eigener Einschätzung kommen auch so an die siebzig Wochenarbeitsstunden zusammen – den Zusatzjob Papa nicht mitgerechnet. Er ist damit glücklich. Ich nicht immer.
Genau, das Ergebnis des Ganzen sind viele, viele Arbeitsstunden. Zum Beispiel bescheinigte eine OECD-Studie dem Isländer im Jahr 2007 jährlich gut 1.800 Arbeitsstunden und damit etwa 370 mehr als dem Deutschen.
„Verdienen die Isländer folglich auch soviel?“ Ja, antwortete das deutsche Marktforschungsunternehmen GfK GeoMarketing zumindest im Jahr 2007. Da hatte der Isländer noch eine der dicksten Brieftaschen in Europa. Nur in der Schweiz mit Liechtenstein, in Luxemburg, Norwegen, Irland und Dänemark waren sie noch praller gefüllt. Das durchschnittliche verfügbare Einkommen pro Person der insgesamt vierzig untersuchten Länder lag in besagtem Jahr bei umgerechneten 12.000 Euro. Der Isländer konnte dagegen beinahe doppelt so tief in die Geldtasche greifen. Deutschland stand mit 18.000 Euro ebenfalls über dem Mittelmaß da. Das schon vor dem Wirtschaftseinbruch generell hohe Preisniveau auf Island sowie der traditionell üppige Lebensstandard des Einzelnen 1 machten ein gutes finanzielles Pölsterchen durchaus notwendig.
Ob allerdings auch Negativ-Vermögen in die oben erwähnte Statistik eingegangen ist? Wenn ich nämlich immer wieder höre, wie viele Isländer schon vor der Finanzkrise verschuldet gewesen sein sollen und wenn ich sehe, dass selbst die Tasse Kaffee ständig mit der Karte bezahlt wird … „Siehst du den dicken Geländewagen dort drüben? Der gehört seinem Besitzer wahrscheinlich gar nicht.“ Lassen wir die Frage nach dem Negativ-Vermögen lieber dahingestellt.
Nach wie vor ist der Islandalltag ganz massiv von Arbeit geprägt. Auch wenn merklich gestiegene Arbeitslosenzahlen und Kurzarbeit vielleicht anderes vermuten lassen, konnte ich persönlich noch nicht feststellen, dass die traditionelle Arbeitswut darunter gelitten hätte. Im Gegenteil: Wer jetzt deutlich höhere Kreditraten abzuzahlen hat als zuvor, muss sich natürlich umso mehr ins Zeug legen, um sein Bankkonto bestückt zu halten. Nein, ich kann mich immer noch nicht des Gefühls erwehren, dass meine Insulaner in erster Linie leben, um zu arbeiten – und nicht umgekehrt.
Meine eigene isländische Arbeitskarriere begann in der Küche eines großen Reykjavíker Hotels. Wo sollte ich anfangen mit der Jobsuche? Die Landessprache beherrschte ich ja noch nicht. Also verfrachtete ich meinen erworbenen Titel „Diplom-Ökotrophologin“ erst einmal in die Schublade und versuchte mein Glück statt dessen in einem Bereich, wo es sich notfalls auch ohne Isländischkenntnisse auskommen lässt. Partyservice, Küche … Hier hatte ich früher bereits gejobbt. So gab ich eines schönen Frühsommernachmittags meinen Lebenslauf an der Hotelrezeption ab mit der Bitte, ihn an den Küchenchef weiterzuleiten. Prompt rief dieser mich noch am gleichen Tag an, abends um neun Uhr. Ob ich nicht vorbeischauen könnte, morgen früh vielleicht? Bereits einen Tag später fing ich in der Kalten Küche an. Kunstvoll verzierte Häppchen, Backwerk, Sandwiches.
Eine hilfreiche Lektion in Sachen Stockwerkszählung gab es gleich als Bonus obendrauf. Wo war die Konferenzabteilung, in der ich mein bestücktes Kuchentablett abliefern sollte? Im zweiten Stock, hatte man mir gesagt. Und dort stand ich – vor geschlossenen Hotelzimmertüren. Mehr durch Zufall fand ich schließlich, was ich suchte – eine Etage tiefer. Auf Island ist die Bezeichnung „Erdgeschoss“ nämlich unüblich. Dieses gilt bereits als der erste Stock … und die deutsche erste Etage ist dementsprechend auf Island die zweite.
Nur zwei Wochen nach Arbeitsantritt wurde ich zur Schichtleiterin in Urlaubsvertretung gekrönt. Ruckzuck, nicht lange fackeln, rein ins
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