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Zwischen Licht und Dunkel

Titel: Zwischen Licht und Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Spitzbart
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es das Schicksal so wollte, war ein isländischer Musiker mit im Rennen. Selbstverständlich hing die komplette Nation wochenlang vor dem Fernseher. Der Isländer würde notfalls meilenweit gehen, um so ein Gerät zu finden, vor dem er seinem Landsmann oder seiner Mannschaft die Daumen drücken kann.
    Eine erstklassige Gelegenheit, das Nationalbewusstsein bis an seine Grenzen auszureizen, bot sich der isländischen Nation im Sommer 2008, als die Handball- Nationalmannschaft der Männer an den Olympischen Spielen in Peking teilnahm. Das Team ist stark. So stark sogar, dass es glorreich ins Halbfinale einzieht. Die isländischen Zuschauer vor Ort in Peking unterstützen ihre Mannschaft mit inbrünstigen „Island, Island!“-Rufen. Derweil sitzen sieben von zehn Isländern auf der Heimatinsel vor dem Fernseher, denn selbstverständlich wird das Spiel hier live übertragen. Auch die Straßen unseres Wohnviertels sind wie ausgestorben. Aus allen Wohnzimmern schallen lautstarke Anfeuerungsrufe.
    „Bist' wohl kein echter Isländer, oder was?“ Diese Rüge musste ich einstecken, als ich es ein paar Tage vorher versäumt hatte, früh um sechs Uhr aufzustehen, um eines der vorausgegangenen Spiele mitzuverfolgen. Viel schlimmer noch, ich hatte nicht einmal im Traum daran gedacht, dass die isländische Handballmannschaft ihren Auftritt hatte. Aber das Halbfinale schaue auch ich mir an. Und das, obwohl der einzige Vollblutisländer der Familie nicht einmal zu Hause ist.
    Bevor ich auf Island ansässig wurde, hatte ich mich nie für Handball interessiert. Aber die Begeisterung steckt an, die meine Wahlheimat „seiner“ Mannschaft entgegenbringt. Sie griff nicht nur auf mich über, sondern sogar auf meinen deutschen Bekanntenund Verwandtenkreis. Jetzt bekomme ich regelmäßig Gratulationsanrufe, wenn Island irgendetwas gewinnt. Selbst wenn – aus Mangel an Relevanz – die entsprechenden Sendungen beziehungsweise Spiele in meiner alten Heimat gar nicht übertragen werden. Während der Handball-Weltmeisterschaft 2007 war auch Stefán auf Deutschland-Besuch. Wie enttäuscht wäre er gewesen, hätte er nicht alle Island- Spiele live mitverfolgen können. Selbstverständlich war sein Wunsch Befehl und das Ganze endete jedes Mal damit, dass alle Anwesenden vor dem Bildschirm saßen, egal wo wir gerade waren. Mein lieber Mann schaffte es dabei immer wieder, seine nationalen Gefühle auf die anderen Fernsehgucker überspringen zu lassen, von denen die allermeisten – so wie ich – vorher nie das geringste für Handball empfunden hatten. Ein Jahr später, bei der Europameisterschaft, verlor Island zwar gegen den amtierenden Weltmeister Deutschland. Aber mich begeisterte es trotzdem, dass die Nationalmannschaft der 320.000 Seelen-Insel (fast) genauso gute Sportler hervor zaubert wie die deutschen 82 Millionen. Freilich versetzte mich das Spiel auch in eine moralische Zwickmühle. Zu wem sollte ich halten? Im Zweifelsfall zu Island.
    Überhaupt hat es mit dem Trio Island, Deutschland und Handball eine besondere Bewandtnis. Gummersbach, Lemgo, Wilhelmshaven, Kiel oder gar Nettelstedt-Lübbeke … Warum wohl sind diese Örtlichkeiten so vielen Isländern ein Begriff? Warum heißt eine regelmäßige Sport-Fernsehsendung „Der deutsche Handball“? Darauf kann es nur eine Antwort geben: Die dort ansässigen Vereine haben oder hatten isländische Handballspieler oder Trainer. Der beste Handball mit den besten Spielern wäre eben in Deutschland zu suchen, äußerte sich einer dieser isländischen Sportler anerkennend – und gestand damit ausnahmsweise einmal einer anderen Nation als seiner eigenen den Spitzenplatz zu.
    Es darf übrigens auch Fußball sein. Das allgemeine Interesse am englischen Fußball könnte zwischenzeitlich allerdings etwas gelitten haben, als Islands Starfußballer und Kapitän der isländischen Nationalmannschaft Eiður Smári Guðjohnsen von Chelsea erst nach Barcelona und dann nach Monaco wechselte. Doch jetzt wird er ja wieder bei Tottenham auf britischem Boden kicken. Nicht ohne Stolz darf ich bei der Gelegenheit anmerken, dass mein Nürnberger Heimatverein 1. FCN eine Zeit lang auf gleich doppelte Verstärkung aus isländischen Reihen zählen konnte, mit dem Zwillingspaar Arnar und Bjarki Gunnlaugsson aus der „Fußballstadt“ Akranes nicht weit von Reykjavík.
    Nationalstolz und Zusammenhalt können auch auf ganz anderem Gebiet als Sport zum Ausdruck kommen. Zum Beispiel dann, wenn etwas schier Unerhörtes

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