Zwischen Liebe und Begierde: Im Königreich der Oyesen (German Edition)
geworden?
Niemand, weder der Alte noch die Wachen, hatte Jasurea gegenüber je ein Wort des Zweifels bezüglich ihrer Identität geäußert. Und plötzlich stand der König höchstpersönlich in Neseans Zelle. Nesean hatte Recht. Sie musste vorsichtig sein. Doch nichts würde sie dazu bringen, das Land zu verlassen. Ihr Herz, das wusste sie, gehörte Nesean. Solange er in Gefangenschaft war, würde auch sie hier bleiben.
Hastig stolperte Jasurea die Kerkertreppe empor. Oben angekommen stürmte sie am Alten vorbei, ohne ihn anzusehen. Nach dem, was sie eben erlebt hatte, hatte sie es eilig, nach Hause zu kommen. So kam es, dass sie den traurigen Blick des Alten nicht wahrnahm.
Jasurea stürmte auf den Ausgang zu, seufzte erleichtert auf, als die Kerkerwächter das X ihrer Lanzen öffneten, um Jasurea ins Freie zu lassen. Doch kaum trat sie in die Sonne, wurde sie von kräftigen Händen gepackt. Jasurea schrie gellend auf. Zwei Soldaten des Königs hielten sie fest, beide umklammerten sie einen ihrer Oberarme.
„Was tut ihr da? Lasst mich los!“
Jasurea wand sich im vergeblichen Versuch, sich zu befreien. Da löste sich ein Schatten von der Steinmauer des Kerkers.
„Du hast deinen Verlobten schon verlassen? Das überrascht mich.“
Jasurea konnte den König nur anstarren. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Vor Angst verschlug es ihr die Sprache.
„Bringt sie in meinen Palast!“
Jasurea widersetzte sich, grub die Füße in den Boden und wand sich in der Umklammerung der Soldaten. Doch diese kümmerten sich nicht um ihren Widerstand. Szenen wie diese waren sie sich gewohnt. Schleppend und schleifend zogen sie Jasurea zum Palast.
Man stieß sie in einen großen Saal und schloss die schwere Doppeltür hinter ihr. Jasureas erste Reaktion war zu prüfen, ob die Doppeltür auch wirklich abgeschlossen war. Sie stürzte zur Tür, rüttelte verzweifelt an der Klinke. Vergeblich. Natürlich war sie eingeschlossen.
Wieso hatte der König sie in den Palast bringen lassen? Glaubte er ihr denn nicht? Aber wenn er nicht glaubte, dass sie Neseans Verlobte war, hätte er sie doch in den Kerker werfen lassen, oder etwa nicht?
Jasurea presste eine Hand vor den Mund, um die plötzlich aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken. Ihre Brust hob und senkte sich schwer, als sie sich verzweifelt in dem großen Zimmer umblickte. Ein Sofa, Sessel und viele kleine Tische, die mit Früchteschalen gedeckt waren, zierten den Raum. Der Saal verfügte über zahlreiche Fenster, die ihn in helles Sonnenlicht tauchten.
Die Fenster! Natürlich! Hoffnung keimte in Jasurea auf.
Sie hastete zu einem der Fenster, riss es mit zitternden Händen auf. Nicht verschlossen!
Sie stützte sich auf dem Fenstersims ab und zog sich daran hoch, als vor ihrer Nase plötzlich eine Schwertspitze geschwenkt wurde. Jasurea schrie entsetzt auf.
Der Saal wurde bewacht!
„Bleib lieber, wo du bist, Mädchen. Damit ersparst du dir noch mehr Ärger“, sagte ein königlicher Soldat, der unter dem Fenster positioniert war.
„Er hat Recht“, bestätigte da eine tiefe Stimme hinter Jasurea.
Jasurea verlor vor Schreck das Gleichgewicht und viel vom Fenstersims in den Saal zurück. Unsanft landete sie auf dem Boden. Sie gab einen erstickten Schmerzenslaut vor sich. Als sie sich mühsam aufrappelte, stachen ihr zwei schwarz polierte Stiefel ins Auge. Der König!
Sie war so auf ihren Fluchtversuch konzentriert gewesen, dass sie ihn nicht hatte kommen hören. Jasurea hielt einen Moment lang inne, richtete sich dann langsam auf. Der König stand direkt vor ihr. Ihr war noch nie aufgefallen, wie groß er war. Obwohl Jasurea selbst überdurchschnittlich groß war für eine Frau, reichte sie ihm nur bis zu den Schultern. Zögernd hob sie den Blick, bis sie ihm in die Augen sah. Er verzog einen Mundwinkel, betrachtete sie spöttisch.
„Willkommen in meinem Palast, Jasurea Dju.“
Jasurea erbleichte. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Sie starrte den König mit weit aufgerissenen Augen an.
Rabmaz lachte trocken auf. „Was? Hast du gedacht, ich weiß nicht, wer du bist?“
Jasurea hob eine Hand an den Mund. Sie bedeckte ihre Lippen mit zitternden Fingern.
Als Rabmaz eine Hand nach ihr ausstreckte, zuckte sie zusammen. Er packte den Saum ihres azurblauen Haartuches und riss es ihr vom Kopf. Jasureas schwarzes Haar löste sich, floss ihr nun in weichen Wellen über den Rücken.
„Hast du tatsächlich gedacht, ein Sonnenschutztuch und ein Pseudonym wären deinen
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