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Zwischen Liebe und Begierde: Im Königreich der Oyesen (German Edition)

Zwischen Liebe und Begierde: Im Königreich der Oyesen (German Edition)

Titel: Zwischen Liebe und Begierde: Im Königreich der Oyesen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassia K. McKenzie
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endlich sah sie ihn. Hände und Füße in Ketten gelegt, schlurfte er mühsam durch die Straße. Doch statt den Blick gesenkt zu halten, wie es die Gefangenen bei Triumphzügen zu tun pflegten, ging er gerade und aufrecht. Er hielt sich stolz.
    Fasziniert starrte Jasurea ihn an. Er hatte tatsächlich ganz helles Haar, ganz anders als ihr schwarzes. Sie hätte es gerne berührt, hätte gerne gewusst, wie sich derart helles Haar anfühlte. Sein Körper war kräftig und braungebrannt, hierin unterschied er sich nicht von den Kämpfern ihres eigenen Volkes. Der Unterschied lag in der Kleidung: Der Prinz trug nichts bis auf einen Lendenschutz. Alle andern Kleidungsstücke hatte man ihm abgenommen. Jasureas Blick glitt unwillkürlich zum schmalen Stück Stoff zwischen seinen Beinen. Sie schluckte. Schnell ließ sie ihren Blick wieder nach oben wandern. Und erstarrte, als ihre Augen die seinen trafen. Sie blickte in ein Blau so tief wie das Meer. Er hielt ihrem Blick stand, sah sie offen an. Oder täuschte sie sich etwa? Fixierte er eine Person hinter ihr?
    Plötzlich hagelte es Tomaten und die Straße erzitterte unter dem Triumphgeheul der Menge, doch der Prinz schien sich dadurch nicht beeindrucken zu lassen. Es sah so aus, als wäre er in Gedanken weit weg, an einem angenehmen Ort, nicht hier, wo er in Ketten der Meute vorgeführt wurde.
    Jasurea erkannte, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Nesean Ikus Blick lag tatsächlich auf ihr. Seine Aufmerksamkeit galt ihr. Ihr allein. Er musterte sie eindringlich, mit jedem Schritt, den er näher trat. Sie starrte in seine Augen, in die Tiefen des Ozeans. Noch nie hatte sie so schöne Augen gesehen. Die Leute ihres eigenen Volks hatten allesamt genauso dunkle Augen wie ihr Haar schwarz war.
    Jasurea war fasziniert vom Anblick des Prinzen, von seiner exotischen Haar- und Augenfarbe.
    Den Trommelwirbel und das Siegesgeschrei der Menge nahm sie nur durch einen dichten Nebel wahr. Die Tomaten, die auf Neseans stolzen Körper trafen, sah sie wie durch einen Schleier. Die Tomate in ihrer eigenen Hand, die ihr der stämmige Mann hinter ihr gereicht hatte, hatte sie völlig vergessen.
    Neseans linker Mundwinkle zuckte. Jasurea erstarrte. War das etwa die Andeutung eines Lächelns gewesen? Doch seine Augen blickten seltsam traurig, eine Traurigkeit, die weder zu seinem Lächeln noch zu seinem stolzen Gang passte.
    Hatte er sie eben angelächelt? Jasurea drückte die Tomate in ihrer Hand so fest, dass deren Fleisch zu Boden tropfte. Ein Lächeln des Prinzen, das allein ihr galt. Im Gegensatz zu ihren Beinen hüpfte nun ihr Herz. In dem Moment wurde ihr bewusst, dass dieser Mann, Prinz der Mikuken, der schönste Mann war, den sie je gesehen hatte. Was für ein wundervoller Körper! Gestählt von den Anstrengungen des Krieges zeichnete sich jeder Muskel deutlich ab. Dass Neseans Körper nun vom Tomatensaft blutrot gefärbt war, nahm Jasurea kaum wahr. Es minderte Neseans Attraktivität in ihren Augen in keiner Weise.
    Doch ehe sie sich versah, war Nesean schon weitergezogen. Ihm folgte ein Zug von etwa dreißig seiner Landsleute. Mitgefangene.
    Jetzt konnte Jasurea nur noch Neseans Rücken sehen.
    In ihrem Inneren bereitete sich eine Hitze aus, die nicht von der Sonne rührte.
    „Nesean Iku“, flüsterte sie leise. Niemand hörte sie. Ihre Worte gingen im anhaltenden Gebrüll der begeisterten Menge unter.
    Plötzlich aber drehte Nesean den Kopf, als hätte er gespürt, dass Jasurea mit ihm gesprochen hatte. Ihre Blicke vereinten sich ein letztes Mal, ehe er in der Menge untertauchte.
    Nachdem der Triumphzug an ihr vorbeigezogen war, war an ein Überqueren der Hauptstraße erst recht nicht zu denken. Die Menge folgte dem Triumphzug Schulter an Schulter, füllte die ganze Breite der Hauptstraße aus. Hätte sich Jasurea durch die Leute kämpfen wollen, wäre sie vom Strom der Menge erfasst und die Hauptstraße hinunter gespült worden wie ein Blatt im Wasser. Sie hatte zwei Möglichkeiten: Entweder wartete sie, bis die Menge vorbeigezogen war, was an diesem Mittag Stunden hätte dauern können, da das ganze Land unterwegs zu sein schien, oder aber sie kehrte in den Wald zurück. Jasurea entschied sich für Letzteres.
    Zurück im angenehm kühlen Wald packte sie ihre Armbrust wieder aus. Sie würde die Gelegenheit nutzen um weiter zu trainieren. Doch Jasurea war nicht richtig bei der Sache. Immer wieder sah sie den Prinzen vor sich, wie er stolz und aufrecht durch die Straße schritt.

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