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Zwischen Mond und Versprechen

Zwischen Mond und Versprechen

Titel: Zwischen Mond und Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shannon Delany
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wie jede Nacht– schön und unschuldig wie ein rot glänzender Apfel, der ein faules Inneres barg. Er fing immer gleich an: Ich stehe unter einem blühenden Hartriegelbaum, die Sonne geht in einer Farbenpracht aus Pink, Orange und Violett unter. Ich drücke auf meinem Handy auf » Senden « , Mom strahlt wie ein Engel, als ihr Bild automatisch auf dem winzigen Display erscheint. » Ja, bin am Hartriegelbaum « , bestätige ich. » Du kommst? Super. « Dann klappe ich das Handy zu. Kein » Ich liebe dich « oder » Dankeschön « .
    Der kleine Teil von mir, der wusste, dass ich mich in den Klauen des Albtraums befand, sperrte sich und versuchte, den Verlauf des Traumes zu verändern … den erwarteten Schmerz zu verringern. Aber es ging nicht, so sehr ich auch kämpfte. Mir schien, als krümmte ich mich vor Anstrengung, aber die Verbindung meines realen Ichs mit meinem Traum-Ich war gerade so stark, dass sich Angst und Entsetzen wirklich anfühlten und sich von beiden nicht loslösen konnten.
    Und dann, gerade als mir klar wurde, dass ich zu schwach war, um die Vergangenheit zu ändern, sah ich Moms Auto auf den Parkplatz einbiegen. Ich hörte das Quietschen der Reifen… das Krachen und Splittern, wenn zwei gleich starke Titanen aufeinanderstoßen, das knirschende Geräusch, das entsteht, wenn Metall aneinanderreibt… Ich schrie und verschluckte mich am Qualm brennender Reifen.
    Ich spürte Augen auf mir– merkwürdig glänzende Augen–, die mich mit einer eigenartigen und gleichzeitig faszinierenden Distanziertheit betrachteten. Wie ein Außerirdischer, der zum ersten Mal eine menschliche Tragödie erlebt und nicht weiß, wie er den Schmerz des Opfers lindern kann. Nicht weiß, ob der Schmerz gelindert werden soll.
    Ich wachte auf, keuchend, das Kissen an mich gepresst. Ich wiederholte mein Mantra: Ich stehe das durch. Ich schaffe es. So war es jede Nacht. Ich setzte mich auf und sah mich im Zimmer um, halb erwartete ich, die glänzenden Augen zu sehen. Sie waren neu in meinen nächtlichen Schreckensbildern und ich fragte mich, was sie zu bedeuten hatten. Oder ob sie überhaupt etwas bedeuteten.

6
    I ch war froh, als ich mich am nächsten Morgen wieder in den Alltag flüchten konnte. Die seltsame Aura, die den Neuen an unserer Schule umgab, hatte mich total durcheinander gebracht. Meine Träume hatten sich verändert– das war eigentlich nicht übel, wenn ich daran dachte, womit ich mich sonst im Schlaf herumquälte–, aber es war auch enorm anstrengend.
    Im Bus traf ich Stella Martin (die Möchtegern-Gossip-Queen unserer Schule). Sie beugte sich über den Mittelgang, um sich mit mir zu unterhalten. Das wurde ja immer besser. » Diese Rusakova-Jungs sind ganz schön heiß « , sagte sie, als wäre das die normalste Art, eine Unterhaltung zu beginnen.
    Ich zuckte mit den Schultern.
    » Im Ernst? « , fragte sie. » Also, ich weiß, dass du immer noch auf Derek stehst– alle wissen das–, aber ich glaube, Pietr mag dich. Ich habe beobachtet, wie er dich ansieht « , ergänzte sie, als wollte sie ihre Theorie untermauern.
    Ich seufzte. » Stella. Er ist noch nicht lange genug hier, um irgendjemanden mögen zu können. «
    Sie schnaubte. » Hast du dich noch nie spontan zu jemandem hingezogen gefühlt? Einfach so, ohne besonderen Grund? «
    » Du meinst, Liebe auf den ersten Blick? « , entgegnete ich spöttisch.
    » Nicht Liebe auf den ersten Blick. Lust auf den ersten Blick. Hast du noch nie etwas spontan begehrt? «
    » Doch, schon « , gab ich zu. Sie beugte sich weiter vor. Ich sah ihr tief in die blassblauen Augen und sagte: » Jedes Mal, wenn ein neuer Vampirroman rauskommt, bin ich ganz scharf darauf. «
    Stella stöhnte. » Mädchen wie du sind mir ein Rätsel. «
    Ich lachte. » Das habe ich schon mal gehört. « Es war einer dieser Sätze, die das Ende so mancher Beziehung eingeläutet hatte. Das und: Es liegt nicht an dir, es ist meine Schuld.
    » Hast du schon mal daran gedacht, vielleicht selbst etwas Aufregendes zu erleben, anstatt nur aufregende Dinge zu lesen? «
    Ich blinzelte. » Ich habe genug Aufregung gehabt in letzter Zeit, danke. « Ich drehte mich genau in dem Augenblick zum Fenster, als der Bus an der Schule hielt. Ich versuchte, das Kribbeln in meinem Bauch zu ignorieren. Denn, ob ich wollte oder nicht, Pietr Rusakova hatte tatsächlich etwas an sich, was mich reizte. Aber ich wollte mich nicht von einer dummen Schwärmerei verrückt machen lassen. Es war klüger, mich von ihm

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