Zwischen Mond und Versprechen
fernzuhalten und mein emotionales Gleichgewicht wieder herzustellen.
Und die wirksamste, wenn auch öde Methode war, mich voll und ganz auf die Schule zu konzentrieren. Selbst wenn dies bedeutete, dass ich mich beim Sport anstrengen musste.
Vor unserem Klassenzimmer traf ich Pietr. Dank der an unserer Schule ständig wechselnden Kurse und Klassen hatte ich meinen Job als Führerin immer noch nicht los. » Hi. Da bist du ja. «
» Da. Mir bleibt nichts anderes übrig. «
Ich überlegte, ob sich das auf die Polizeibegleitung vom Vortag bezog, aber ich wollte das Thema nicht anschneiden. Es fiel mir überraschend leicht, Pietrs Vergangenheit, die irgendwie mit den Cops zu tun hatte, beiseite zu schieben. Na ja, vielleicht würde ich ihn später darauf ansprechen. Und ihn eventuell doch noch zu einem Interview über den Geisterwolf von Farthington überreden.
» Warte nach der Stunde genau hier auf mich « , wies ich ihn in möglichst bestimmtem Ton an und zeigte auf den glänzenden Fußboden.
Er nickte, es war dasselbe knappe Nicken wie gestern, aber diesmal war ein Funkeln in seinen Augen.
» Außer du bist bereit, mir ein Interview über Farthington zu geben… «
Er schüttelte den Kopf, ein eindeutiges Nein.
Na schön. Merkt er, wie ich ihn von oben bis unten ansah? Kein Gips. Keine Armschlinge. » Und dein Arm? Wieder in Ordnung? «
Er nickte.
Total verrückt. Ich schüttelte den Kopf, sagte mir aber, dass ein Gipsarm Pietrs Beliebtheit womöglich noch gesteigert hätte. Das ganze Mitleid hätte ihn wohl noch begehrenswerter gemacht. Abartig.
Ich machte mich auf zur Bibliothek. Ich hatte noch zehn Minuten bis zur ersten Stunde. Das reichte, denn das, worüber ich recherchieren wollte, war mein Dauerthema. Ich hatte zwar sämtliche Informationen zum Geisterwolf bereits durchsiebt, war aber überzeugt, etwas übersehen zu haben. Irgendetwas musste passiert sein, bevor die Wolfsüberfälle losgingen. Etwas Unheimliches.
Ich rief Google auf. Farthington plus Wölfe, Kojoten, Fuchs, Bär– ich zappte durch sämtliche Berichte. Keine ungewöhnlichen Tieraktivitäten, die ins Netz gestellt wurden, entgingen meinem Blick. Ich hatte schon die schrägsten Dinge gesammelt, die eindeutig von Irren hochgeladen worden waren. Berichte über Werwölfe, Bigfoot und sogar Mafiaverbindungen pflasterten meine Zimmerwand. Esmusste eine Antwort auf das ganze Geisterwolfdebakel geben. Vielleicht musste ich meine Suche ausweiten. Nicht nur nach Farthington schauen. Hatte es auch sonst verrückte Vorkommnisse gegeben– vielleicht bevor die ersten Spuren des Geisterwolfs entdeckt worden waren? Verrückte Vorkommnisse plus… ich fügte noch eine Jahreszahl hinzu.
» Mann von Ziege verschluckt. «
» Elvis lebt als Pizzabäcker in Nevada. « Okay, verrückt, aber nicht meine Art von verrückt…
» CIA von Tonnen russischer Dokumente überschwemmt. « Ha. Ich klickte auf den Link. Wow! War das viel Papier! Das Bild zeigte ein Lagerhaus, in dem massenweise Aktenkisten gestapelt waren. Auf allen klebte ein Etikett mit C. C. C. P.
Rechts im Bild stand eine Agentin– man sah sie nur von hinten. Ihre Haare waren zu einem auffallend straffen Pferdeschwanz gebunden. In ihrem Profil zeigten sich Entschlossenheit und Genugtuung.
Die Bildunterschrift lautete:
USA erhalten russische Dokumente aus dem Kalten Krieg, deren Überprüfung die Geheimdienste über Jahre hinweg beschäftigen wird. In der überwältigenden Menge von Papieren zweifelhafter Herkunft suchen Geheimdienstmitarbeiter nach wichtigen Hinweisen.
Nun, das war nicht, wonach ich eigentlich gesucht hatte, aber ich wollte den Artikel trotzdem ausdrucken. Als Mahnung, wenn ich mal wieder über zu viel Hausaufgaben jammerte. Ich schnappte mir die eine Seite, die der Drucker ausspuckte, und flitzte dann zum Klassenzimmer.
Die erste Stunde war wie immer. Öde. Öde. Öde. Egal. Ich vertiefte mich in den Artikel. Anscheinend hatten die Russen den Amerikanern Einsicht in fast alle heiß begehrten Dokumente aus dem Kalten Krieg gegeben. Ein Zeichen ihrer Freundschaft, das manche misstrauisch machte, weil es genau zu dem Zeitpunkt geschah, als die amerikanischen Geheimdienste in Sachen russischer Mafia knapp an Personal waren. Hm. Ich faltete das Papier zusammen und steckte es in die Tasche, um es später an mein Pinbrett zu heften.
Pietr wartete schon vor seinem Klassenzimmer und hob die Augenbrauen. Dann warf er einen bedeutsamen Blick auf den Fußboden. Er sah mich an und
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