Zwischen Mond und Versprechen
rubbelte mit aller Kraft.
Ich wollte so schnell wie möglich nach Hause. Richtig duschen. Wieder zu mir kommen. Überlegen, was die Sache mit Derek und Jenny zu bedeuten hatte und welche Rolle ich für Derek spielte– wenn überhaupt.
Aber erst die Busfahrt. Erst die Fahrt neben Pietr.
» Mist. Mist. Mist! «
Lady Macbeth glaubte wenigstens, ihre Hölle sei finster. Meine neueste Version der Hölle war kristallklar– schlank und gut aussehend, mit einem weichen russischen Akzent und einer schrecklich geheimnisvollen Vergangenheit. Und ja, auch er würde wahrscheinlich beim Freudenfeuer und beim Footballspiel zuschauen. Und wenn ich meinen Freundinnen erzählen würde, dass er für mich die Hölle ist? Dann würde Amy höchstens anmerken, dass die Hölle ziemlich heiß ist.
Denn heiß war Pietr Rusakova auf jeden Fall.
Als ich endlich in den Bus stieg, saß Pietr schon da. Ich setzte mich auf den letzten freien Platz auf der anderen Seite des Gangs, nickte meiner Sitznachbarin Stella Martin zu und betrachtete ihn verstohlen.
Er klebte neben einem mir unbekannten Neuntklässler an der Fensterscheibe und schaute hinaus, zu den anderen Schülern, die zu ihren Bussen rannten. Aber es schien, als würde er sie gar nicht sehen. Dann verlagerte er sein Gewicht, drehte sich um und sah mir direkt in die Augen. Er musterte meinen Gesichtsausdruck, ließ seinen Blick über meine Stirn wandern, dann um meine Augen, und blieb schließlich an meinen Lippen hängen. Meine Lippen, die mich im Stich ließen und sich zu einem nervösen Lächeln verzogen. Verdammt.
Er drehte sich wieder zum Fenster.
» Er mag dich wirklich, Jessie « , wisperte Stella. In ihrer Stimme schwangen Freude und Bewunderung. » Ihr solltet nebeneinander sitzen… «
» Nein. Nein, Stella « , protestierte ich, als sie anfing, ihre Sachen zusammenzusuchen. Ich wollte mich bei Pietr für meine Unhöflichkeit entschuldigen, aber den ganzen Nachhauseweg neben ihm sitzen? Er sollte keinen falschen Eindruck bekommen.
Stella quetschte sich an mir vorbei und stand noch im Gang, als der Bus losrumpelte.
Der Busfahrer sah sie im Rückspiegel. » Stella– setz dich! «
» Ja, Stella « , drängte ich sie und rutsche auf den Fensterplatz hinüber, » setz dich doch. «
» Ja, gleich. « Sie sah mich beleidigt an. » Kannst du nicht einmal dem Glück in deinem Leben die Hand reichen, Jessie? «
Pietr beobachtete unseren Wortwechsel.
» Pietr « , sagte Stella, » ich würde mich gern hierhin setzen. Neben… « Sie machte eine Kopfbewegung in Richtung des Neuntklässlers. Auf seiner Oberlippe bildeten sich Schweißtropfen.
» Billy « , murmelte er und richtete sich in seinem Sitz auf. Er rieb sich über die Oberlippe, auf der der zarte Flaum eines Bartes zu sehen war.
Stella tat einigermaßen beeindruckt.
» Neben Billy « , sagte sie. » Pietr, könntest du dich bitte neben Jessie setzen? «
Pietr leckte sich über die Lippen und lächelte liebenswürdig. » Billy, du bekommst jetzt eine viel hübschere Nebensitzerin. «
Stella lächelte Pietr strahlend an, als dieser sich an ihr vorbeischob.
» Setzt euch endlich hin « , bellte der Fahrer.
Pietr nahm neben mir Platz. Ich quetschte meinen Rucksack zwischen uns wie eine Mauer. Er tat, als bemerkte er es nicht. Der Bus rumpelte über die Straße und blieb ab und zu ruckelnd an einem Halteschild stehen. Es würde wie immer eine lange Fahrt werden, und sie wurde nicht kürzer durch das, was mir nun bevorstand.
Wir hielten einige Male, bevor wir in die Vororte kamen. Ein paar Kinder hüpften zum Ausgang, der Bus rumpelte weiter und schwankte, wenn er an den Haltestellen zum Stillstand kam.
Hier standen die Häuser nicht mehr so dicht aufeinander.
Noch ein paar Haltestellen, dann hockten die Krähen nicht mehr auf schlecht beleuchteten Einfahrten an asphaltierten Bürgersteigen, sondern auf kleinen, von Mauern umfriedeten Gärten. Danach kamen nur noch Felder mit einzelnen ziegelroten Scheunen und riesigen Heuballen, die den nahenden Winter ankündigten.
Danach erst kam mein Zuhause. Und da ich nicht wusste, wo Pietr wohnte, musste ich langsam loswerden, was ich sagen wollte. » Pietr… «
Er nickte.
» Es tut mir leid, dass ich dich im Rektorat so angefahren habe. «
» Schon okay. Du stehst anscheinend gerade ziemlich unter Druck « , meinte er und starrte Löcher in die Rückenlehne des Vordersitzes. » War nicht so schlimm. «
Okay. Er vergab mir. Macie und Jenny vergaben mir.
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