Zwischen Mond und Versprechen
verlangsamten sich. Die Knusperflocken in meinem Mund zersetzten sich zu einer breiigen Pampe, während ich darauf wartete, dass Dad weitersprach. Ganz am Anfang des Schuljahrs hatte es schon einmal ein Gespräch dieser Art gegeben. Seitdem hatte ich dafür gesorgt, dass ich meinen Notenschnitt hielt.
» Ich denke, das ist vielleicht zu viel für eine Person. «
Ich stieß meinen Löffel in Richtung Annabelle Lee.
» Und « , fuhr Dad fort, » du weißt doch, dass Anna für solche Arbeiten zu schwach ist. «
Streiten hatte keinen Zweck. Ich hatte es früher schon versucht. Mit dem Ergebnis, dass Dad traurig und Annabelle Lee noch unausstehlicher geworden war. Sie hatte eine leichte Rückgratverkrümmung. Extrem leicht. Die meisten Ärzte bemerkten sie nicht einmal. Aber alles, was auch nur im Geringsten mit Gesundheit zu tun hatte, versetzte Dad in Panik. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Wir waren alles, was er hatte. Ich versenkte meinen Löffel wieder in der Schale.
» Ich habe beschlossen, dass sich hier etwas ändern muss. «
Ich schob meine Müslischale von mir. Ich hatte keinen Hunger mehr. Die Pferde waren das Letzte, was von den Träumen meiner Mutter geblieben war. Sie war eine erfolgreiche Turnierreiterin und echte Pferdekennerin gewesen. Während Dad in der Aphrodite Schokoladenfabrik arbeitete, trainierte, ritt und versorgte Mom die Pferde. So wollte ich später auch einmal leben, falls ich in Junction bliebe.
Außerdem würde ich es nicht ertragen, wenn Moms Träume zerstört würden, auch wenn sie ihre Erfüllung selbst nicht mehr erleben konnte. Ich schluckte die Pampe in meinem Mund herunter. » Ich bin nicht bereit, auch nur ein einziges der Pferde zu verkaufen. «
» Jessie, ich wollte… «
Annabelle Lee lächelte. Na super. Für sie waren die Pferde nur mit Schufterei verbunden. Sie sah nicht die Freude, die sie einem bereiteten. Wahrscheinlich überlegte sie bereits, was sie sich von dem Geld alles kaufen konnte.
Es klopfte, ich zuckte zusammen. Mein Schwesterherz bemerkte natürlich meine Nervosität.
» Da ist er « , flötete Annabelle und rannte, über meinen verdutzten Gesichtsausdruck grinsend, zum Windfang und öffnete mit einer ausholenden Geste die Tür.
Pietr verzog amüsiert sein Gesicht über ihre Faxen und trat ein. » Guten Morgen, Sir « , begrüßte er meinen Dad.
Ich starrte ihn finster an. Er war in ein wichtiges Gespräch über die Zukunft unserer Pferde geplatzt. Und außerdem war Samstag. Warum war er überhaupt… Nur langsam nahm ich wahr, was er anhatte. Abgetragene Jeans, Sweatshirt und eine praktische Jeansjacke ließen vermuten, dass er sich zum Arbeiten eingekleidet hatte. Zu richtiger, körperlicher Arbeit. Und ich musste mir wütend eingestehen, dass er sogar noch besser aussah als am vergangenen Abend. Als er mit mir geflirtet hatte. Als er mich geküsst hatte.
» Pietr « , sagte ich abweisend, um meine Überraschung zu überspielen, » es ist wirklich nett, dass du vorbeikommst, aber ich habe jede Menge zu tun. Ich komme mit den Hausaufgaben, die du vorbeigebracht hast, bestimmt allein zurecht. «
Dad räusperte sich. » Jessie. Ich habe den jungen Mr Rusakova angeheuert, damit er uns bei der laufenden Arbeit unterstützt. Er war hier, um etwas für dich abzugeben und– na ja, du weißt ja, Anna denkt immer mit… «
Ich sah sie an und wiederholte matt: » Denkt immer mit. Jaja. « Heckt immer was aus, passte besser.
» Nun, sie war so weitsichtig, sich die Telefonnummer von Mr Rusakova geben zu lassen. «
» Sehr schlau « , sagte ich und funkelte Annabelle Lee böse an.
» Ich habe mir gedacht, ich gebe ihm lieber eine ehrliche Arbeit, bevor ich erfahren muss, dass sich einer deiner Freunde auf die Russenmafia einlässt. «
Pietr sah auf den Boden.
» Also Dad. Die Russenmafia? « Ich verdrehte die Augen.
Dad warf mir einen Blick zu, der mich ermahnte, ihm mit angemessenen Respekt gegenüberzutreten, solange ich unter seinem Dach weilte. » Du machst weiterhin die anspruchsvolle Arbeit– das Training und Reiten, aber Rusakova übernimmt das Füttern und Ausmisten– die körperliche Arbeit. «
» Das kann ich doch auch alles machen « , flüsterte ich. » Das habe ich doch immer gemacht. «
» Niemand zweifelt an deinen Fähigkeiten, Jessie. Ich möchte aber, dass du dich auf die Schule und auf deine Aufgaben konzentrierst. «
Ich stand vom Tisch auf und ging Richtung Türe.
» Mein Gott, Kind, nimm wenigstens einmal Hilfe an « ,
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