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Zwischen Mond und Versprechen

Zwischen Mond und Versprechen

Titel: Zwischen Mond und Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shannon Delany
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erblickte. Die Wände waren nicht mehr zu sehen hinter den vielen Bücherrücken, von denen manche neu, manche alt und abgegriffen aussahen. Es waren Bücher auf Englisch, Russisch und ein paar anderen Sprachen– Deutsch, Französisch und noch etwas. Das einzige Fenster zum Garten war zwischen die Bücherregale gezwängt wie das Auge in einem Zyklopenschädel.
    Er schmiss sich auf sein Bett und schob ein Buch zur Seite.
    » Ist das…? «
    » Nicht Romeo und Julia, sondern Der Kaufmann von Venedig « , erklärte er.
    » Hast du gewusst, dass in diesem Stück der Name Jessica zum ersten Mal auftaucht? Sie und Lorenzo sind die Romeo und Julia in dieser Geschichte. Sozusagen. Also, du liest Shakespeare. Und nicht für die Schule. «
    » Ich lese, wann immer ich Zeit habe. Das ist angeblich typisch russisch. «
    » Hey– ich lese auch ständig « , warf ich ein. Okay, das klang ein bisschen zu defensiv. » Wow – da ist ganz schön schwieriger Stoff dabei, Philosophie und so « , bemerkte ich mit einem genaueren Blick auf die einzelnen Titel. Und ich? Ich steckte bis zum Hals (haha) in Vampirgeschichten. Pietr stützte sich auf sein Kopfkissen und sah mich mit einem neugierigen Blick an.
    Er nickte. » Ich denke viel über diese Dinge nach. «
    » Wirklich? « , sagte ich und hockte mich auf die Bettkante. Ich versuchte, nicht daran zu denken, dass ich auf dem Bett eines Jungen saß. In seinem Zimmer. Und auf keinen Fall durfte ich daran denken, dass etwas Romantisches geschehen könnte. » Über welche Dinge denkst du nach? «
    » Was den Menschen zum Menschen werden lässt. «
    Ich verschluckte mich beinahe. » Die halbe elfte Klasse würde wahrscheinlich sagen, dass es der Sex ist. «
    » Da « , sagte er und verzog nachdenklich den Mund.
    » Und was denkst du, was den Menschen zum Menschen macht? « , fragte ich.
    » Seine Taten. Seine Verantwortung und sein Verhalten. «
    » Okay, einverstanden. « Ich zupfte an einem Schuhbändel. » Worüber denkst du sonst noch nach? «
    » Was den Menschen zum Monster werden lässt. «
    Ich starrte ihn eine Weile verblüfft an, die Zahnrädchen in meinem Hirn knirschten, als würde der Mechanismus jeden Moment zusammenbrechen. » Und was ist bei dieser Überlegung herausgekommen? «
    » Dasselbe. «
    Ich nickte. Bedächtig. » Schwierige Themen. « Ich zupfte an einer Falte seiner Daunendecke. » Was hältst du von Ashtons Frage in Literatur? Waren Romeo und Julia vom Schicksal verdammt oder selbst für ihr Tun verantwortlich? «
    Er lachte leise. » Du willst wissen, ob ich glaube, dass wir im Leben eine echte Wahl haben? «
    » Sicher. «
    » Ich glaube, wir haben nicht so viel Entscheidungsfreiheit wie wir sollten. «
    » Hm, interessante Art zu antworten. Denkst du, dein Schicksal steht in den Sternen? « , fragte ich kichernd.
    Wieder antwortete er nicht direkt. » Ich weiß, wie meine Geschichte ausgeht, wenn du das meinst. «
    » Glücklich bis an dein Lebensende? «
    Wieder vermied er eine direkte Antwort und sagte bloß: » Zu bald. «
    » Mit dieser Antwort kannst du nichts falsch machen « , räumte ich ein. Ich nagte auf meiner Lippe. » Und. Alles okay mit dir? «
    Er beugte sich vor, hob mit seiner Hand mein Kinn an und sah mich mit einem schmerzerfüllten Blick an. » Auf dem Weg der Besserung « , antwortete er.
    Wir unterhielten uns weiter über dies und das, vermieden dabei aber das Thema, das uns zusammengebracht hatte: den Tod. Ich schlug meine Füße unter und saß im Schneidersitz auf seinem Bett. » Hier « , sagte ich und klopfte auf meine Schenkel, » leg deinen Kopf hier hin. «
    Stumm gehorchte er. Ich fuhr mit den Fingern über seine Stirn, fühlte die feinen Sorgenfalten und versuchte sie wegzustreichen. Er seufzte und es schien tief aus seinem Innersten heraus zu kommen. Sein Körper entspannte sich, sein Atem wurde gleichmäßig, er war eingeschlafen.
    Es dauerte nicht lang, bis auch mein Bein eingeschlafen war. Festgenagelt unter dem erdrückenden Gewicht seines Kopfes (wer hätte gedacht, dass er so schwer sein könnte), versuchte ich, Bein und Fuß wiederzubeleben. Quatsch. Ich fuhr mit meiner Hand unter seinen Kopf, hob ihn hoch und rutschte unbeholfen unter ihm weg– und plumps vom Bett hinunter. Pietr schlug seine Augen auf, und ich wurde rot, als er mich auf dem Boden liegen sah.
    Er grinste. » Alles okay da unten? «
    » Ja. He! Hast du Lust auf einen Ausflug? «
    Er setzte sich kerzengerade hin. » Klar. Mit dem Quad? «
    » Nein.

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