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Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars

Titel: Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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der Hand und stellte es dann ebenfalls zurück. Es würde ihr keinen Schlaf bringen, sondern sie nur benommen
und - vielleicht - noch paranoider machen, als sie so schon war.
    Sie legte sich hin und sah zu dem Nachttisch auf der anderen Seite des Betts hinüber. Bobs Wecker. Bobs Ersatzlesebrille. Ein Buch mit dem Titel Die Hütte. Du solltest es auch lesen, Darce, es kann wirklich dazu führen, dass man sein Leben ändert, hatte er zwei oder drei Abende vor dieser letzten Reise gesagt.
    Sie knipste ihre Lampe aus, sah Stacey Moore mit gefesselten Händen tot vor dem Maiskasten knien, in dem ihr Kopf steckte, und machte wieder Licht. In den meisten Nächten war das Dunkel ihr Freund - der gütige Vorbote des Schlafs -, aber nicht in dieser Nacht. Heute Nacht war das Dunkel von Bobs unaussprechlichem Harem bevölkert.
    Das weißt du doch gar nicht! Merk dir, dass du das absolut nicht weißt.
    Aber wenn man genügend Katzenhaare findet …
    Jetzt auch Schluss mit den Katzenhaaren.
    Sie lag da, sogar noch wacher, als sie zu sein befürchtet hatte, und ihre Gedanken bewegten sich im Kreis, mal dachte sie an die Opfer, mal an ihre Kinder, mal an sich selbst, sogar an eine längst vergessene Geschichte aus der Bibel über Jesus, der im Garten Gethsemane betete. Als sie glaubte, mindestens eine Stunde mit diesem elend sorgenvollen Rundlauf verbracht zu haben, sah sie auf Bobs Wecker, dass nur zwölf Minuten verstrichen waren. Sie richtete sich kurz auf einem Ellbogen auf, um den Wecker von sich weg zum Fenster hinzudrehen.
    Er kommt morgen nicht vor sechs Uhr abends nach Hause, dachte sie … obwohl er streng genommen heute Abend heimkam, sagte sie sich, weil es nun schon eine Viertelstunde nach Mitternacht war. Trotzdem blieben ihr so achtzehn Stunden. Bestimmt Zeit genug, um zu irgendeiner
Entscheidung zu gelangen. Es wäre gut gewesen, wenn sie hätte schlafen, sogar nur ein bisschen hätte schlafen können - Schlaf wirkte oft als Rücksetzschalter für den Verstand -, aber das war ausgeschlossen. Manchmal döste sie etwas, aber dann dachte sie wieder an Marjorie Duvall oder an Stacey Moore oder (das war am schlimmsten) an Robert Shaverstone, zehn Jahre alt, ER MUSSTE NICHT »LEIDEN« . Und dann war jeglicher Schlaf wieder unmöglich. Ihr kam sogar der Gedanke, sie würde nie mehr wieder schlafen können. Das war natürlich ausgeschlossen, aber als sie so dalag und noch Kotzegeschmack im Mund hatte, obwohl sie mit Scope gegurgelt hatte, erschien ihr das völlig plausibel.
    Irgendwann merkte sie, dass sie sich an ein Jahr in früher Kindheit erinnerte, in dem sie auf der Suche nach Spiegeln durchs Haus gestreift war. Sie hatte sich vor ihnen aufgebaut, beide Hände seitlich ans Gesicht gelegt und mit der Nasenspitze das Glas berührt, ohne jedoch zu atmen, damit der Spiegel nicht beschlug.
    Wenn ihre Mutter sie so antraf, war sie immer weggeschubst worden. Davon bleibt ein Fleck, den ich wieder wegputzen muss. Warum interessierst du dich überhaupt so für dich selbst? Du wirst niemals wegen Schönheit gehenkt werden. Und wieso stehst du so dicht davor? Aus dieser Nähe kannst du nichts erkennen, was sich zu sehen lohnt.
    Wie alt war sie damals gewesen? Vier? Fünf? Zu jung, um zu erklären, dass sie sich ohnehin nicht für ihr Spiegelbild interessierte - jedenfalls nicht in erster Linie. Sie war davon überzeugt gewesen, Spiegel seien Portale in eine andere Welt, und was sie darin sah, sei nicht ihr Wohnzimmer oder Bad, sondern das Wohnzimmer oder Bad irgendeiner anderen Familie. Vielleicht das der Matsons statt dem der Madsens. Weil hinter dem Glas alles ähnlich , aber nicht gleich war; wenn man nur lange genug hineinsah, konnte
man einige der Unterschiede erkennen: einen Teppich, der dort drüben oval zu sein schien, statt wie hier rund zu sein; eine Tür, die keinen Drehknopf, sondern eine Klinke zu haben schien; ein Lichtschalter, der auf der falschen Seite der Tür saß. Auch das kleine Mädchen war nicht identisch. Darcy glaubte fest, sie seien zwar verwandt - Schwestern des Spiegels? -, aber nein, nicht gleich. Statt Darcellen Madsen konnte dieses kleine Mädchen Jane oder Sandra oder sogar Eleanor Rigby heißen und aus irgendeinem Grund (irgendeinem unheimlichen Grund) in Kirchen, in denen Hochzeiten stattgefunden hatten, Reiskörner auflesen.
    Im Lichtkreis ihrer Nachttischlampe dösend, ohne es recht zu merken, vermutete Darcy, dass sie einige Zeit bei einem Kinderpsychiater hätte verbringen müssen, wenn sie

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