Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars
beide oder nur sich selbst belügen wollte; ich weiß nur, dass es keinen Tunnel gab. Wir hätten oben festgesessen - und wer weiß, vielleicht hätten wir doch Selbstmord verübt. Was Vierzehnjährige tun werden, weiß man nie, oder? Sie rollen herum wie Bombenblindgänger.«
Aber du bist schon explodiert, dachte sie. Hab ich recht, Bob?
»Vermutlich wären wir ohnehin zu feige dafür gewesen. Aber vielleicht auch nicht. Vielleicht hätten wir versucht, die Sache durchzuziehen. BD hat mich ganz aufgeregt gemacht, indem er davon gesprochen hat, wie wir sie erst befummeln und dann dazu zwingen würden, sich gegenseitig auszuziehen …« Er betrachtete sie ernst. »Ja, ich weiß, wie das klingt, bloß pubertäre Wichsphantasien, aber diese Mädchen waren wirklich hochnäsig. Wenn man mit ihnen reden wollte, haben sie gelacht und sind weggegangen. Dann haben sie an der Ecke der Mensa gestanden, die ganze Gänseherde, haben uns angestarrt und noch mehr gelacht. Also konnte man uns eigentlich keinen Vorwurf machen, oder?«
Er betrachtete seine Finger, die rastlos auf seinen Hosenbeinen trommelten, die sich über den Schenkeln spannten, dann sah er wieder zu Darcy auf.
»Verstehen - wirklich begreifen - musst du, wie überzeugend Brian argumentieren konnte. Er war viel schlimmer als ich. Er war echt verrückt. Wir waren sauer auf diese Mädchen, wir waren geil, uns sind alle diese Filme im Kopf herumgegangen … Bonnie und Clyde … Easy Rider … Damals war eine Zeit, in der ganz Amerika rebelliert hat, vergiss das nicht, und das Ganze hat dazugehört.«
Das bezweifle ich, dachte sie.
Das Erstaunliche war, wie er es verstand, das alles fast normal klingen zu lassen, so als gehörten Vergewaltigung und Mord zu den sexuellen Phantasien jedes Heranwachsenden. Vermutlich glaubte er das auch, genau wie er an Brian Delahantys angeblichen Fluchttunnel geglaubt hatte. Oder hatte er das nicht getan? Woher sollte sie das wissen? Schließlich hörte sie sich die Erinnerungen eines Wahnsinnigen
an. Es war nur schwer, das zu glauben - immer noch! -, weil der Verrückte Bob war. Ihr Bobby.
»Jedenfalls«, sagte er schulterzuckend, »ist es nie dazu gekommen. Das war der Sommer, in dem Brian hinter einem Baseball her auf die Straße gelaufen ist und überfahren wurde. Nach der Beerdigung hat es bei ihm zu Hause Kaffee und Kuchen gegeben, und seine Mutter hat gesagt, wenn ich wollte, könnte ich in sein Zimmer hinaufgehen und etwas mitnehmen. Gewissermaßen als Andenken. Und ob ich wollte! Worauf du Gift nehmen kannst! Ich habe sein Geometrieheft mitgenommen, damit niemand darin blättern und seinen Plan für die ›Die große Baller- und Fickparty in Castle Rock‹ finden konnte. So hat er sie nämlich genannt.«
Bob lachte wehmütig, dann wurde er wieder ernst.
»Wäre ich ein gläubiger Mensch, würde ich sagen, dass Gott mich vor mir selbst gerettet hat. Und wer weiß, ob es nicht irgendetwas gibt … irgendein Schicksal … das seinen eigenen Plan für uns hat?«
»Und dieses Schicksal hätte dich dazu bestimmt, Frauen zu foltern und zu ermorden?«, sagte Darcy. Sie konnte einfach nicht anders.
Er starrte sie vorwurfsvoll an. »Sie waren hochnäsig«, sagte er mit lehrerhaft erhobenem Zeigefinger. »Außerdem war das nicht ich. Es war Beadie, der diese Sachen gemacht hat - und ich sage bewusst gemacht hat , Darce. Ich sage gemacht hat statt macht , weil das nun alles hinter mir liegt.«
»Bob … dein Freund BD ist tot. Er ist seit fast vierzig Jahren tot. Das muss dir doch bewusst sein. Ich meine, auf irgendeiner Ebene musst du es doch wissen.«
Er warf die Hände hoch: eine Geste gutwilliger Kapitulation. »Willst du es Schuldverdrängung nennen? Das würde ein Seelenklempner vermutlich tun, und meinetwegen kannst du das auch tun. Aber hör zu, Darcy!« Er
beugte sich vor, und sie befürchtete einen schrecklichen Augenblick lang, er werde sie küssen oder es zumindest versuchen. Stattdessen drückte er nur einen Finger zwischen den Augenbrauen an ihre Stirn. »Hör zu und kapier das endlich. Es war Brian. Er hat mich … na ja, mit bestimmten Ideen infiziert, sagen wir’s mal so. Von manchen Ideen kann man sich nicht mehr frei machen, sobald man sie im Kopf hat. Man kann …«
»Man bekommt die Zahnpasta nicht wieder in die Tube zurück?«
Er klatschte so laut in die Hände, dass sie fast aufgeschrien hätte. » Ja, genau! Man bekommt die Zahnpasta nicht wieder in die Tube zurück. Brian war tot, aber seine Ideen
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