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Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars

Titel: Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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verwundert fest.
    »Nein.«
    Und das sollte sich als sehr gute Sache erweisen.
     
    Wir hatten so eifrig und schnell geschaufelt, als die Staubfahne näher gekommen war, dass von Elpis nur noch ein halbes Bein aus der Erde ragte. Der Huf befand sich ungefähr anderthalb Meter unter dem Brunnenrand. Eine ganze Fliegenwolke umkreiste ihn. Darüber hätte der Sheriff sich bestimmt gewundert, und er hätte sich noch mehr gewundert, dass das Erdreich vor dem herausragenden Huf auf und ab pulsierte.
    Henry ließ seine Schaufel fallen und packte mich am Arm. Es war ein heißer Nachmittag, aber er hatte eine eiskalte Hand. »Das ist sie!«, hauchte er. Sein Gesicht schien nur noch aus Augen zu bestehen. »Sie versucht rauszukommen!«
    »Sei kein so gottverdammter Dämlack«, sagte ich, aber auch ich konnte den Blick nicht von diesem Kreis aus pulsierender Erde wenden. Als ob der Brunnen lebendig wäre und wir das Schlagen seines verborgenen Herzens sähen.

    Dann flogen Erdbrocken und Kieselsteine nach allen Seiten, und eine Ratte tauchte auf. Glänzend jettschwarze Augen blinzelten im Sonnenschein. Sie war fast so groß wie eine ausgewachsene Katze. In ihren Schnurrbarthaaren hatte sich ein blutbefleckter Fetzen Sackrupfen verfangen.
    »O du Wichser!«, brüllte Henry.
    Etwas zischte haarscharf an meinem Ohr vorbei, dann spaltete die Kante von Henrys Schaufel der Ratte den Schädel, während sie noch ins Helle blinzelte.
    » Sie hat sie geschickt«, sagte Henry. Er grinste. »Die Ratten gehorchen jetzt ihr.«
    »Ausgeschlossen. Du bist nur durcheinander.«
    Er ließ die Schaufel fallen und ging zu dem Haufen mit großen Steinen, die wir aussortiert hatten, um sie als letzte Füllschicht zu verwenden. Er setzte sich und starrte mich gespannt an. »Weißt du das bestimmt? Weißt du bestimmt, dass sie uns nicht heimsucht? Die Leute sagen, dass Ermordete zurückkommen, um die zu verfolgen, die …«
    »Die Leute sagen alles Mögliche. Dass der Blitz nie zweimal an derselben Stelle einschlägt, dass ein zerbrochener Spiegel sieben Jahre Unglück bringt, dass ein Ziegenmelkerschrei um Mitternacht einen Todesfall in der Familie ankündigt.« Ich bemühte mich, vernünftig zu sprechen, aber ich musste weiter die Ratte anstarren, die Henry mit seiner Schaufel halbiert hatte. Und den blutbefleckten Fetzen Sackrupfen. Von ihrem Haarnetz . Sie trug es dort unten im Dunkel weiter, nur hatte es jetzt ein Loch, aus dem ein Haarbüschel ragte. Das ist in diesem Sommer bei toten Frauen der letzte Schrei, dachte ich.
    »Als kleiner Junge hab ich echt geglaubt, dass man, wenn die Uhr schlägt, keine Grimasse schneiden darf, weil man sie sonst nicht mehr wegkriegt«, sagte Henry nachdenklich.
    »Da - siehst du?«

    Er stand auf, klopfte sich den Steinstaub vom Hosenboden und stellte sich neben mich. »Aber ich hab ihn erwischt - ich hab den Wichser erwischt, oder?«
    »Und ob!« Und weil mir nicht gefiel, wie er sprach - wirklich nicht -, gab ich ihm einen Klaps auf die Schulter.
    Henry grinste noch immer. »Wenn der Sheriff sich den Brunnen angeguckt hätte, wie du’s ihm angeboten hast, und er hätte dann die Ratte aus der Erde kommen sehen, wären ihm bestimmt noch ein paar Fragen eingefallen, glaubst du nicht auch?«
    Irgendetwas an dieser Vorstellung ließ Henry in ein hysterisches Lachen ausbrechen. Er brauchte mindestens fünf Minuten, um sich auszulachen, und scheuchte damit einen Schwarm Krähen von dem Zaun auf, der die Kühe vom Mais fernhielt, aber dann beruhigte er sich wieder. Als wir mit der Arbeit fertig waren, war die Sonne bereits untergegangen, und wir konnten die leisen Schreie hören, mit denen die Eulen vom Heuboden aus zur Jagd vor Mondaufgang losflogen. Die oberste Steinschicht in dem aufgefüllten Brunnen war gut verdichtet, und ich bezweifelte, dass es weiteren Ratten gelingen würde, sich hindurchzuwühlen. Wir machten uns nicht die Mühe, den zersplitterten Holzdeckel zu ersetzen; eine Abdeckung war nicht mehr nötig. Henry benahm sich fast wieder normal, und ich hoffte, wir würden beide gut schlafen.
    »Was sagst du zu Wurst, Bohnen und Maisbrot?«, fragte ich ihn.
    »Darf ich den Generator anschmeißen und mir im Radio die Hayride Party anhören?«
    »Jawohl, das darfst du.«
    Daraufhin lächelte er sein gutes altes Lächeln. »Danke, Papa.«
    Ich kochte genug für vier Landarbeiter, und wir aßen alles auf.

    Zwei Stunden später, als ich im Wohnzimmer in meinem Sessel vergraben Silas Marner las und dabei

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