Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars
an den Seitennähten meiner Latzhose zu Fäusten geballt und musste mich dazu zwingen, sie zu öffnen. Zornig zu werden wäre zwecklos
gewesen. Um etwas wie diese Sache besprechen zu können, brauchte ein Junge eine Mutter, aber seine saß auf der Sohle eines zugeschütteten Brunnens, zweifellos von einem Hofstaat toter Ratten umgeben.
»Das weiß ich, Henry …«
» Hank! Und andere heiraten auch so jung!«
Früher hatten sie das getan; seit das neue Jahrhundert begonnen und die Pionierzeit sich dem Ende zugeneigt hatte, allerdings nicht mehr so oft. Aber das sagte ich ihm nicht. Stattdessen erklärte ich ihm, dass ich kein Geld für eine Starthilfe für sie hätte. Vielleicht 1925, wenn die Ernten und Preise gut blieben, aber vorläufig könne ich nichts für sie tun. Und weil nun ein Baby unterwegs sei …
»An sich wäre genug da!«, sagte er. »Wärst du wegen der 40 Hektar kein solches Arschloch gewesen, wäre reichlich da! Sie hätte mir etwas davon abgegeben! Und sie hätte nicht so mit mir geredet!«
Anfangs war ich zu betroffen, um darauf zu antworten. Seit wir Arlette namentlich - oder auch nur angedeutet mit dem Fürwort sie - erwähnt hatten, waren zwischen uns sechs oder sogar noch mehr Wochen vergangen.
Er starrte mich trotzig an. Und dann sah ich in weiter Ferne auf unserer Stichstraße eine wogende Staubwolke näher kommen. Harlan Cotterie war unterwegs. Ich hatte ihn immer für meinen Freund gehalten, aber eine Tochter, die sich als schwanger erweist, kann solche Dinge ändern.
»Nein, sie hätte nicht so mit dir geredet«, stimmte ich Henry zu und zwang mich dazu, ihm offen ins Gesicht zu sehen. »Sie hätte noch schlimmer mit dir geredet. Und dich wahrscheinlich ausgelacht. Wenn du richtig in dich hineinhorchst, Sohn, wirst du mir recht geben.«
»Nein!«
»Deine Mutter hat Shannon ein kleines Flittchen genannt und dich dann aufgefordert, deinen Willy in der Hose zu
behalten. Das war ihr letzter Ratschlag, und obwohl er so derb und verletzend war wie die meisten ihrer Äußerungen, hättest du ihn befolgen sollen.«
Henrys Zorn schwand schlagartig. »Es war erst nach … nach dieser Nacht … dass wir … Shan wollte nicht, aber ich hab sie dazu überredet. Und als wir erst mal angefangen hatten, hat’s ihr so gut gefallen wie mir. Nachdem wir anfangen hatten, hat sie darum gebettelt.« Er sagte das mit einem eigenartigen, leicht perversen Stolz und schüttelte dann müde den Kopf. »Jetzt liegen diese 40 Hektar voller Unkraut brach, und ich sitze in der Scheiße. Wäre Mama noch hier, würde sie mir helfen, da rauszukommen. Mit Geld lässt sich alles richten, das sagt er immer.« Henry nickte zu der näher kommenden Staubwolke hinüber.
»Wenn du nicht mehr weißt, wie sparsam deine Mama mit jedem Dollar war, bist du vergesslicher, als dir guttut«, sagte ich. »Und wenn du vergessen hast, wie sie dich am letzten Abend ins Gesicht geschlagen hat …«
»Hab ich nicht«, sagte er mürrisch. Dann noch mürrischer: »Ich dachte nur, du würdest mir helfen.«
»Das habe ich auch vor. Aber vorerst möchte ich, dass du dich verdrückst. Auf Shannons Vater würdest du jetzt wie ein rotes Tuch wirken, wenn er hier aufkreuzt. Lass mich erst mal sehen, wo wir stehen - und in welcher Stimmung er ist -, dann rufe ich dich vielleicht auf die Veranda heraus.« Ich ergriff sein Handgelenk. »Ich werde mein Bestes für dich tun, Sohn.«
Er entzog mir seine Hand. »Das will ich hoffen.«
Henry verschwand im Haus, und kurz bevor Harlan mit seinem neuen Wagen vorfuhr (einem neuen Nash, dessen Lack unter der Staubschicht so grün wie eine Schmeißfliege schillerte), hörte ich die Fliegengittertür nach hinten hinaus zufallen.
Der Motor des Nash tuckerte, hatte eine Fehlzündung und starb dann ab. Harlan stieg aus, zog seinen Staubmantel aus, faltete ihn zusammen und legte ihn auf den Fahrersitz. Den Mantel hatte er getragen, weil er dem Anlass entsprechend gekleidet war: weißes Hemd, schmaler Selbstbinder und gute Sonntagshosen, die von einem Gürtel mit Silberschließe gehalten wurden. Jetzt ruckte er daran, damit die Hosen genau richtig unter seinem straffen kleinen Schmerbauch saßen. Er hatte mich immer gut behandelt, und ich hatte uns stets nicht nur für Freunde, sondern für gute Freunde gehalten, aber in diesem Augenblick hasste ich ihn geradezu. Nicht etwa weil er gekommen war, um mir wegen meines Sohns Vorwürfe zu machen; ich an seiner Stelle hätte weiß Gott das Gleiche getan. Nein,
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