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Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars

Titel: Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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war in strömendem Regen nackt unterwegs, ohne es recht wahrzunehmen. Mich beschäftigte vor allem meine linke Hand, die vor Schmerzen pochte, die so intensiv waren, dass sie mein ganzes Leben zu beherrschen drohten.
    Ich nahm meinen Staubmantel vom Haken im Vorraum für Gummistiefel und Arbeitskleidung (mehr schaffte ich nicht), schlüpfte hinein und ging wieder hinaus, diesmal in den Stall. Ich beschmierte die verletzte Hand mit Rawleigh
Antiseptic Salve . Sie hatte verhindert, dass Achelois’ Euter sich entzündete, und konnte vielleicht dasselbe bei meiner Hand bewirken. Als ich schon gehen wollte, fiel mir ein, wie die Ratte das letzte Mal entkommen war. Das Rohr! Ich trat davor, bückte mich und erwartete, dass der Mörtelpfropfen teilweise demoliert war oder ganz fehlte, aber er war intakt. Natürlich war er das. Selbst derartige Ratten mit übergroßen Zähnen können sich nicht durch Zement nagen, sobald er abgebunden hat. Dass ich das überhaupt in Erwägung gezogen hatte, zeigt den Geisteszustand, in dem ich mich befand. Einen Augenblick lang schien ich mich wie von außen zu betrachten: ein bis auf einen offenen Staubmantel nackter Mann, seine Körperbehaarung bis zum Schritt hinunter mit Blut verklebt, die linke Hand von einer schleimigen Schicht Eutersalbe glänzend, die Augen aus den Höhlen quellend. Wie die Augen der Ratte hervorgequollen waren, als ich sie zerstampft hatte.
    Es war nicht dieselbe Ratte, sagte ich mir. Die eine, die Achelois verstümmelt hat, liegt tot in dem Rohr oder in Arlettes Schoß.
    Aber ich wusste, dass sie es gewesen war. Ich wusste es damals, und ich weiß es heute.
    Sie war es.
    Wieder im Haus, wieder im Schlafzimmer, kniete ich mich hin und sammelte das blutbefleckte Geld ein. Mit nur einer Hand ging die Arbeit langsam voran. Einmal stieß ich mit der verletzten Hand ans Bett und heulte vor Schmerzen auf. Ich konnte sehen, wie frisches Blut die Salbe färbte, sie rosa werden ließ. Ich warf das Geld auf die Kommode und machte mir nicht einmal die Mühe, es mit einem Buch oder einem von Arlettes verdammten Ziertellern zu bedecken. Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern, weshalb es mir ursprünglich so wichtig gewesen war, die Scheine zu verstecken. Die Schachtel mit dem roten Hut beförderte ich mit
einem Tritt in den Kleiderschrank, dann knallte ich die Tür zu. Dort konnte sie meinetwegen bis in alle Ewigkeit bleiben.
     
    Wer jemals eine Farm besessen oder auf einer gearbeitet hat, kann bestätigen, dass Arbeitsunfälle häufig passieren und entsprechende Vorsorgemaßnahmen erfordern. In dem Erste-Hilfe-Schränkchen neben der Küchenpumpe - den Arlette immer den »Schmerzensschrank« genannt hatte - lag auch eine dicke Mullbinde. Als ich sie herausnehmen wollte, fiel mein Blick auf den großen Wassertopf, der auf dem Herd dampfte. Das Wasser hatte ich für ein Bad aufgesetzt, als ich noch heil gewesen war und solch monströse Schmerzen, die mich jetzt zu verzehren schienen, nur theoretisch denkbar gewesen waren. Mir kam der Gedanke, heißes Seifenwasser könnte das beste Mittel für meine Hand sein. Die Wunde konnte nicht noch mehr schmerzen, sagte ich mir, und ein heißes Seifenbad würde sie reinigen. Beide Annahmen waren falsch, aber woher hätte ich das wissen sollen? Auch nach so vielen Jahren erscheint mir diese Idee vernünftig. Vielleicht hätte es sogar funktioniert, wenn ich von einer gewöhnlichen Ratte gebissen worden wäre.

Mit der unverletzten Rechten schöpfte ich Wasser in einen Eimer (den Topf mit zwei Händen zu kippen, um etwas Wasser abzugießen, kam nicht infrage), dann warf ich ein Stück von Arlettes grober brauner Waschseife hinein. Das letzte Stück, wie sich zeigte; es gibt so viele Vorräte, die ein Mann zu besorgen vergisst, wenn er darin keine Erfahrung hat. Ich warf einen Putzlappen dazu, dann ging ich damit ins Schlafzimmer, kniete mich wieder hin und machte mich daran, das Blut und die Eingeweide aufzuwischen. Dabei musste ich (verständlicherweise) die ganze Zeit an das letzte Mal denken, als ich Blut vom Fußboden dieses verdammten Schlafzimmers aufgewischt hatte. Damals war wenigstens Henry bei mir gewesen, um das Grausen
mit mir zu teilen. Allein und unter Schmerzen zu putzen war eine schreckliche Arbeit. Mein Schatten tanzte und huschte über die Wände und ließ mich an Quasimodo aus Victor Hugos Der Glöckner von Notre Dame denken.
    Als ich mit der Arbeit fast fertig war, hielt ich inne und legte den Kopf schräg: mit

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