Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars

Titel: Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
Ratte.
    Am frühen Nachmittag war ich fiebrig, und die verletzte Hand schwoll so stark an, dass ich die Bandage etwas lockern musste. Allein das ließ mich vor Schmerzen aufschreien. Ich brauchte einen Arzt, aber es schneite stärker denn je, und ich würde es nicht einmal bis zu den Cotteries schaffen - und erst recht nicht allein bis nach Hemingford Home. Selbst wenn der Tag klar und hell und trocken gewesen wäre … wie hätte ich den Motor des Lastwagens oder des T mit nur einer Hand ankurbeln sollen? Ich hockte in der Küche, legte Holz nach, bis der Herd wie ein Drache röhrte, schwitzte ganze Wasserströme aus, zitterte zugleich vor Kälte, hielt die verletzte Hand an die Brust und erinnerte mich daran, wie die freundliche Mrs. McReady meinen
unordentlichen, nicht gerade von Wohlstand kündenden Hof gemustert hatte. Haben Sie einen Telephonapparat, Mr. James? Wie ich sehe, haben Sie keinen.
    Nein, ich hatte keinen. Ich war allein auf der Farm, für die ich gemordet hatte, und konnte keine Hilfe bekommen oder auch nur anfordern. Ich konnte sehen, wie das Fleisch rot zu werden begann, wo die Bandage aufhörte: am Handgelenk, das voller Blutgefäße war, die das Gift in meinen ganzen Körper transportieren würden. Die Feuerwehrleute hatten versagt. Ich überlegte, ob ich meine Hand mit Gummibändern abbinden sollte - die linke Hand opfern, um den restlichen Körper zu retten. Oder sollte ich sie sogar mit dem Beil amputieren, mit dem wir Feuerholz machten und gelegentlich einem Huhn den Kopf abhackten? Beide Ideen erschienen mir völlig plausibel, aber auch viel zu anstrengend. Letztlich humpelte ich nur nochmals zu dem Schmerzensschrank mit Arlettes Pillen hinüber. Ich schluckte weitere drei, diesmal mit kaltem Wasser - meine Kehle brannte -, dann setzte ich mich wieder ans Feuer. Ich würde an dem Biss sterben. Davon war ich überzeugt, und ich hatte mich damit abgefunden. In der Prärie waren Bisse und Infektionen eine alltägliche Todesursache. Wenn die Schmerzen unerträglich wurden, würde ich die restlichen Pillen auf einmal schlucken. Was mich daran hinderte, es gleich zu tun - außer die Angst vor dem Tod, die wohl jeder von uns mehr oder weniger empfindet -, war die Möglichkeit, dass jemand vorbeikommen konnte: Harlan oder Sheriff Jones oder die freundliche Mrs. McReady. Denkbar war sogar, dass Rechtsanwalt Lester aufkreuzte, um mir erneut eine Standpauke wegen dieser gottverdammten 40 Hektar zu halten.
    Am meisten hoffte ich jedoch, Henry werde zurückkommen. Was aber nicht der Fall war.
    Es war Arlette, die zu mir kam.

    Sie haben sich vielleicht gefragt, woher ich von der Pistole weiß, die Henry in dem Pfandhaus in der Dodge Street gekauft hatte, und von dem Bankraub in der Jefferson Street. Dann haben Sie sich vermutlich gesagt: Na ja, zwischen 1922 und 1930 liegt eine lange Zeit; mehr als genug, um viele Einzelheiten in einer Bibliothek nachzulesen, in der vollständige Jahrgänge der Zeitung World-Herald aus Omaha stehen.
    Natürlich habe ich die Zeitungen studiert. Und ich habe an Leute geschrieben, die meinem Sohn und seiner schwangeren Freundin auf ihrem kurzen, verhängnisvollen Weg von Nebraska nach Nevada begegnet sind. Die meisten dieser Leute schrieben zurück und schilderten bereitwillig Einzelheiten. Solche Detektivarbeit ist sinnvoll und zweifellos auch befriedigend. Aber diese Ermittlungen folgten Jahre später, nachdem ich die Farm verlassen hatte, und bestätigten nur, was ich schon wusste.
    Schon?, fragen Sie, und ich antworte einfach: Ja. Schon. Und ich wusste es nicht nur, als es passierte, sondern einen Teil davon bereits im Voraus. Den letzten Teil.
    Wie das denn? Die Antwort ist einfach: Meine tote Frau hat es mir erzählt.
    Das glauben Sie natürlich nicht. Dafür habe ich Verständnis. Das täte jeder vernünftige Mensch. Ich kann nur wiederholen, dass dies mein Geständnis, mein letztes Wort auf Erden ist, das keine einzige bewusste Unwahrheit enthält.
     
    In der folgenden Nacht (oder der übernächsten; nachdem das Fieber von mir Besitz ergriffen hatte, verlor ich jegliches Zeitgefühl) wachte ich am Herd sitzend aus einem Dämmerschlaf auf und hörte wieder die huschenden, trippelnden Geräusche. Anfangs glaubte ich wieder an Schneeregen, aber als ich aufstand, um von dem altbackenen Laib auf dem Küchentisch einen Kanten Brot abzureißen, sah
ich einen schmalen orangeroten Sonnenuntergangsstreifen am Horizont und darüber die leuchtende Venus. Der Schneesturm war

Weitere Kostenlose Bücher