Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars
Abkürzung … obwohl Tess fairerweise zugeben musste, dass ihr das auch auf der Interstate hätte passieren können; sie war auf Autobahnen, nicht nur der I-84, mehr als einmal allem möglichen Scheiß ausgewichen, der Reifen und Unterboden hätte beschädigen können.
Die Konventionen von Horrorstorys und Kriminalromanen - selbst der unblutigen Variante mit nur einer Leiche, die ihre Fans so schätzten - waren überraschend ähnlich, und als sie ihr Handy aufklappte, dachte sie: In einer Story würde es nicht funktionieren. Und genau ein solcher Fall, in dem das Leben die Kunst imitierte, war jetzt eingetreten, denn als sie ihr Nokia einschaltete, erschienen auf dem Display die Worte KEIN SERVICE. Natürlich. Ihr Handy benutzen zu können wäre zu einfach gewesen.
Sie hörte ein Fahrzeug mit einem Loch im Auspuff näher kommen, drehte sich um und sah einen alten weißen Lieferwagen durch die Kurve fahren, die den Expedition zur Strecke gebracht hatte. Auf seiner Seite spielte ein Cartoonskelett auf einem Schlagzeug, das aus kleinen Kuchen in Papierförmchen zu bestehen schien. Über dieser Erscheinung ( viel eigenartiger als ein Fanfoto von Richard Widmark im Büro einer Bibliothekarin) standen in tropfender Horrorfilmschrift die Wörter ZOMBIE BAKERS. Tess war sekundenlang zu verwirrt, um zu winken, und als sie es endlich tat, war der Fahrer des Lieferwagens von Zombie Bakers zu sehr damit beschäftigt, dem Zeug auf der Fahrbahn auszuweichen, um sie zu bemerken.
Er wich schneller auf den Seitenstreifen aus als zuvor Tess, aber der Kastenwagen hatte einen höheren Schwerpunkt
als der Expedition, und sie fürchtete einen Augenblick lang, er würde umkippen und auf der Seite liegend im Straßengraben landen. Er blieb jedoch auf den Rädern - mit knapper Not - und kam hinter den kreuz und quer liegenden Brettern auf den Asphalt zurück. Dann verschwand er in einer Wolke aus blauem Auspuffqualm und dem Geruch von heißem Öl um die nächste Kurve.
»Verdammte Zombie Bakers!«, rief Tess erst laut, dann begann sie zu lachen. Manchmal blieb einem nichts anderes übrig.
Sie klemmte ihr Handy an den Bund ihrer Gabardinehose, ging auf die Straße hinaus und machte sich eigenhändig daran, die Bretter wegzuräumen. Das tat sie äußerst vorsichtig, weil sich aus der Nähe zeigte, dass in allen Holzteilen (die weiß gestrichen waren, als wären sie von jemandem, der mitten in einer Hausrenovierung steckte, abgerissen worden) Nägel steckten. Große hässliche Nägel. Sie arbeitete langsam, weil sie sich nicht verletzen wollte, aber sie hoffte auch, deutlich sichtbar ein Werk christlicher Barmherzigkeit zu verrichten, wenn der nächste Wagen vorbeikam. Als sie bis auf ein paar harmlose Splitter alles eingesammelt und die großen Stücke in den Straßengraben geworfen hatte, war jedoch noch immer kein Auto vorbeigekommen. Vielleicht, dachte sie, hatten die Zombie Bakers jedermann in unmittelbarer Umgebung verspeist und rasten jetzt in ihre Backstube zurück, um aus den Überresten die immer beliebten Leute-Kuchen zu backen.
Sie ging auf den verunkrauteten Parkplatz des ehemaligen Ladens zurück und betrachtete missmutig den schräg dastehenden Expedition. Rollender Stahl im Wert von vierzigtausend Dollar, Allradantrieb, vier Scheibenbremsen, dazu Tom das sprechende TomTom … und dann genügte ein Stück Holz mit einem Nagel darin, um einen stranden zu lassen.
Aber natürlich haben in allen Nägel gesteckt, dachte sie. In einem Kriminalroman - oder in einem Horrorfilm - wäre das kein Zeichen von Nachlässigkeit, sondern ein Beweis für einen Plan. Für eine regelrechte Falle.
»Zu viel Phantasie, Tessa Jean«, sagte sie, ihre Mutter zitierend … und das war natürlich eine Ironie des Schicksals gewesen, denn ihrer Phantasie verdankte sie letztlich ihr täglich Brot. Von dem Altersruhesitz in Daytona Beach, wo ihre Mutter die letzten sechs Jahre ihres Lebens verbracht hatte, ganz zu schweigen.
In der tiefen Stille wurde sie wieder auf dieses blecherne Ticken aufmerksam. Der verlassene Laden gehörte zu einem Typus, den man im 21. Jahrhundert nicht mehr oft sah: Er hatte eine unverglaste Veranda. Ihre linke Ecke war eingefallen, und das Geländer war an mehreren Stellen defekt, aber es war tatsächlich eine Veranda, die selbst in ihrem verwahrlosten Zustand noch charmant war. Vielleicht wegen ihres Verfalls. Veranden vor Gemischtwarenläden waren unmodern geworden, vermutete Tess, weil sie dazu verlockten, eine Weile
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