Zwischen Olivenhainen (German Edition)
er unglücklich verliebt gewesen war und seinen Erzfeind jetzt niedermachen wollte! Doch dann dachte sie an die Artikel, die Anne ihr gezeigt hatte. Sie blitzten vor ihren Augen auf, jeder Einzelne, jede Überschrift, jedes Wort, jedes Bild von Raffaello. Von seinem Vater. Und Mario. Gosettis Anschuldigungen, für die es etliche Bestätigungen im Internet gab, klangen in ihren Ohren nach und der eine Satz, den Mario vor Kurzem zu ihr gesagt hatte: „ Du solltest selbst entscheiden, was du glauben willst und was nicht. “ Und plötzlich geriet all das, was sie bisher geglaubt hatte – glauben wollte – ins Wanken. Es gab so viele Parallelen. Raffaellos Reichtum, der Tod seines Vaters – der allerdings auch wirklich dem entsprechen konnte, was Raffaello ihr erzählt hatte, nämlich, dass er von ein paar politischen Fanatikern erschossen worden war.
Und Antonios Hass auf Raffaello. Annes – vielleicht berechtigte – Sorge und ihre Nachforschungen im Internet. Raffaellos abwehrende Reaktionen, wenn das Gespräch auf seinen Vater kam, auf seine Familie. Bisher hatte Leslie geglaubt, er trauere noch immer um ihn und sei noch nicht bereit, sich mit seinem Tod auseinanderzusetzen. Die Polizeikontrolle, bei der Raffaello so geflucht hatte, die seltsamen Blicke, die ihm die beiden Polizisten zugeworfen hatten, seine Erklärung hinterher, die Kontrollen werden wegen der Mafia durchgeführt. Zufallsprinzip. Ein Auto nach dem anderen, bis man irgendwann einmal das Richtige erwischte. Doch was, wenn es nicht nach dem Zufall ging? Wenn die Polizisten genaue Anweisungen bekommen hatten, welches Auto sie anhalten sollten? Sie hatten sich nicht für Leslie interessiert, für Raffaello dafür umso mehr. Sie hatten sein Nummernschild fotografiert. Sie erinnerte sich daran, wie abweisend er auf ihre Fragen bezüglich der Mafia reagiert hatte. An seinen Blick, als er bemerkt hatte, dass Mario und Leslie den „Paten“ angeschaut hatten.
Die „Probleme“ in seinem Familienunternehmen. Mario als sein Freund und Berater. Die Bezeichnung ‚ Consigliere ‘ fiel ihr ein. Es passte unangenehm ins Bild. Konnte das alles einen Sinn ergeben? Ihr Antonios Geschichte bestätigen? Sie vielleicht sogar beweisen?
„Halt die Klappe!“, rutschte es ihr heraus. „Antonio, ich glaube dir kein einziges Wort!“ Und dann waren sie plötzlich da, die Tränen. Vielleicht war es der Schock, vielleicht war es die Tatsache, dass Antonio Raffaello ganz offensichtlich schaden wollte, ihn in ihren Augen als den Bösen darstellen wollte oder dass er mehr über ihn zu wissen schien, als sie – aber vielleicht war es auch die Wucht, mit der sich alle einzelnen Puzzleteile zusammenfügten, dass sie erkannte, wie sie zusammenpassten. Oder auch nur der verzweifelte Wunsch, Antonio mitten auf den Mund zu schlagen. Das tat sie. Sie verpasste ihm eine dicke Ohrfeige.
„Hör auf“, sagte sie erschöpft. Die Tränen waren längst getrocknet, aber die riesengroße Verwirrung blieb noch eine ganze Weile. Antonio schwieg. Endlos lange.
„Er hat dich geschickt um den kleinen Finger gewickelt“, sagte er schließlich. „Schon klar, was du an ihm findest. Er hat diesen Sixpackkörper, ein umwerfendes Lachen, ’ne Menge Geld und ’ne Knarre. So was finden Mädchen sexy, schon verstanden. Aber der Typ ist ein Verbrecher.“ Sie verpasste ihm noch eine. Die anderen Gäste im Café schielten neugierig zu ihnen herüber, aber sie störte sich nicht daran.
„Hör auf, Antonio! Hör auf damit!“, schrie sie ihn verzweifelt an, dann packte sie ihre Tasche, setzte ihre Sonnenbrille auf – genau wie Raffaello – und verließ das Café.
Wutschnaubend stürmte Leslie die Straße entlang. Was bildete Antonio sich eigentlich ein?! „ Du solltest selbst entscheiden, was du glauben willst und was nicht “, hallte Marios Stimme in ihrem Kopf wider. Sie verwünschte ihn dafür, dass er das gesagt hatte. Sie verwünschte sogar Raffaello dafür, dass es diese Parallelen und unerklärliche Geheimnisse gab. Eine Knarre! Eine Pistole! Raffaello sollte eine Waffe besitzen – ganz und gar unmöglich. Trugen nicht im Film alle Mafiosi eine im Gürtel? Und wo war seine? Er hatte keine, ganz einfach.
„Scheiße“, grummelte Leslie, „Scheiße, Scheiße, Scheiße!“ Und sie fluchte die ganze lange Rückfahrt zu ihrem Ferienhaus weiter.
Dort angekommen schmiss sie sich auf eines der Betten, in dem Zimmer, das sie nicht benutzten, und fing an, hemmungslos zu
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