Zwischen Olivenhainen (German Edition)
hochgebracht“, log Leslie. Sie war nie gut gewesen im Lügen. Sie wusste, dass Anne ihr das nicht abkaufte. Doch sie hielt erstaunlicherweise den Mund und stand mit einem fröhlichen: „Dann haben wir uns ja wenigstens den Weg zum Flughafen gespart!“ auf, um Melissa im Schlepptau hinter sich her zum Buffet zu ziehen. Für kurze Zeit war Leslie wieder alleine und erst, als Anne sich wieder neben sie setzte und ihr zwei Brötchen mit Nutella zuschob, riss sie sich endgültig aus ihren Gedanken.
„Na auf!“, sagte Anne. „Iss mal was Richtiges.“ Aber allein der Anblick der beiden riesigen Brötchen verdarb Leslie den Appetit. Mal abgesehen von der Schokolade.
„Nicht beide!“, widersprach sie angeekelt.
„Doch!“
„Ich will aber nicht!“
„Du musst !“ Und dann ließ Anne sie keine Sekunde mehr aus den Augen, bis Leslie wenigstens eines der Brötchen unter Murren und Knurren aufgegessen hatte.
„Wo gehen wir heute hin?“, fragte Melissa mit vollem Mund. „Zum Hafen?“
Anne verdrehte die Augen. „Der Hafen läuft uns schon nicht weg, oder?“, entgegnete sie. „Wir könnten uns die Stadt genauer ansehen oder nach Agrigento fahren. Den Hafen kannst du uns auch morgen noch zeigen, Meli.“
Melissa resignierte seufzend und entschied sich für den Ausflug nach Agrigento. Leslie auch und so machten sie sich gleich nach dem Frühstück auf den Weg, Mr. Gosetti zu suchen, dessen Kollege sie dorthin fahren würde.
Als sie nach zwei Stunden Fahrt im ‚Tal der Tempel‘ auf dem Parkplatz ausstiegen, schlug ihnen eine sengende Hitzewelle entgegen. Die Tempel – oder vielmehr das, was nach vielen hundert Jahren von den ehemals bunt bemalten Bauten übrig war – konnte man schon von Weitem sehen. Dazwischen ragten dürre Büsche hervor, Akazien, Zypressen und hier und da spendeten einige Zitronen- und Olivenbäume ein wenig Schatten. Andere Besucher hatten sich darunter niedergelassen, um auszuruhen. Um den gut erhaltenen Concordia-Tempel, den sie als Erstes besichtigten, spannte sich ein schwarzer Metallzaun, der schrecklich heiß war, wenn man daran fasste. Immerhin lag er den ganzen Morgen schon in der prallen Sonne. In der grasbewachsenen Landschaft im Hintergrund erhob sich eine von zahllosen Straßen auf Stelzen – und Leslie fragte sich, wozu die gut waren.
Annes Kommentar darauf lautete bloß: „Diese Straße endet im Nichts. Sie hört einfach irgendwo auf, kannst du dir das vorstellen? Stell dir vor, du fährst da lang und puff –“, sie schnippte mit den Fingern, „– fällst einfach da runter. Ein Werk der Mafia … Hier ist alles voll von diesen Straßen.“
Die Sonne brannte erbarmungslos vom makellos blauen Himmel herab und Melissa jammerte schon auf halbem Weg zum nächsten Tempel, dass ihr ungeheuer warm war, obwohl sie sich mit ihrer dunklen Haut vor einem Sonnenbrand am wenigsten fürchten musste. Anne dagegen umso mehr, denn sie war eher ein blasser Typ mit hellen Haaren, hellblauen Augen und Sommersprossen, weswegen sie sich auch, bevor sie losgefahren waren, dick mit Sonnencreme eingeschmiert und eine lange Jeans und eine langärmlige Bluse angezogen hatte. Zudem trug sie einen lächerlich aussehenden Strohhut mit breiter Krempe. Leslie hatte meist nur am Anfang Probleme mit Sonnenbränden, aber wenn sie dann einmal braun geworden war, war das Schutz genug.
„Schick, oder?“, fragte Anne, als sie alle drei vor den Überresten des Hera-Tempels standen und daran hinaufblickten. „Er wurde im 5. Jahrhundert von den Griechen erbaut.“
Sie grinste Leslie zu und tippte auf ihren Reiseführer. „Wozu so ein Ding nicht alles gut ist. Ich hätte mir ja noch mehr Bücher gekauft, wenn wir nicht so überstürzt aufgebrochen wären.“ Sie knuffte Melissa freundschaftlich in die Seite, doch die war zu sehr damit beschäftigt, sich Luft zu zufächeln, um zu antworten.
Sie schauten sich noch einige andere alte Ruinen an; den Herakles-Tempel und das Grab des Teron, bevor sie sich zu Fuß zurück in die lärmige, verkehrsreiche Neustadt, die an manchen Gebäuden und Straßenzügen recht protzig wirkte, und wie auf einer Loge auf einer Kalkplattform lag, machten, um zurück zu Mr. Gosettis Auto zu gehen. Agrigento wirkte seltsam gegensätzlich, fand Leslie. Auf der einen Seite war da die protzige Neustadt, auf der anderen aber die enge, mittelalterliche Altstadt auf der Bergkuppe, durchzogen von verwinkelten Gassen und Treppengewirr. Von einfachen Lokalen bis hin zu
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