Zwischen Olivenhainen (German Edition)
hinter dem Tresen verschwand. Vielleicht war er ja ganz nett? Aber Leslie hasste es, mit Jungs zu flirten, wenn noch jemand dabei war. Anne eingeschlossen. Melissa erst recht. Sie stocherte weiter in ihrem Eis herum. Bald war es zu einer flüssigen, hellroten Brühe geschmolzen und auf einmal hatte Leslie absolut keine Lust mehr, dieses Zeug aufzuessen. Anne und Melissa waren schon längst fertig.
„Ich gehe zahlen“, murmelte sie und stand von ihrem Stuhl auf. In Wirklichkeit wollte sie vor Annes vorwurfsvollen Blicken flüchten und den Kellner nebenbei ein wenig genauer unter die Lupe nehmen. Er lachte ihr schon entgegen. Als sie an die Kasse trat und ihr Portemonnaie aus der Tasche kramte.
„Ich möchte zahlen“, sagte Leslie mit den paar Brocken Italienisch, die sie konnte. Der Kellner nickte und fing an, etwas in seinen Computer einzutippen.
„Wie heißt du?“, fragte er, als sie ihm das Geld reichte.
„Leslie“, sagte sie.
„Kommst du aus England?“ Er sprach langsam und deutlich, weil es nur zu offensichtlich war, dass sie nicht aus Italien kam.
Leslie schüttelte den Kopf. „Aus Schottland“, sagte sie. Auf dem Namensschild, das an seinem weißen Hemd steckte, stand: Antonio.
Antonio schüttelte sich. „Es ist sehr kalt da, oder?“, fragte er.
Leslie nickte. Und lächelte verlegen. Was zum Teufel sollte sie darauf antworten, außer: „ Sì .“?
Er reichte ihr das Wechselgeld und grinste fröhlich. „Kommst du irgendwann nochmal her?“, fragte er. „Du kriegst auch ein kostenloses Eis.“
Das hatte sie nun nicht ganz so gut verstanden. Aber sie sagte einfach: „ Sì “ und zwirbelte nervös eine Haarsträhne um den Finger. Antonio schob ihr einen Zettel über den Tresen.
„Wenn ich nicht da bin“, erklärte er ihr jetzt in recht gutem Englisch, „fragst du nach Antonio Federico, o. k.?“
Leslie nahm den Zettel entgegen. Sie freute sich sogar, scheinbar hatte er ernsthaft Interesse, sich mit ihr zu treffen. Sie nickte.
„Klar, mach ich gerne“, sagte sie und lächelte, bevor sie sich hastig von ihm verabschiedete. Nett war er wirklich, fand sie. Dunkelbraunes, zu Spitzen gegeltes Haar und fröhlich glitzernde graublaue Augen.
Anne und Melissa waren schon aufgestanden und blickten ihr aufgeregt entgegen.
„Na, hast du ein Date?“, fragte Anne, aber Leslie schüttelte den Kopf.
„Nicht direkt“, sagte sie, doch bevor sie all die anderen Fragen, die Melissa ihr an den Kopf warf, beantworten konnte, trat jemand dicht an ihnen vorbei, sodass Leslie noch den Hauch von Aftershave riechen konnte, kühl und irgendwie frisch, als er weg war. Sie brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass es der fremde Junge war, dem sie verdammt nochmal immer wieder auf andere Weise begegnete. Zufall? dachte sie, aber sie glaubte weder an Schicksal noch an Zufall. Sie hörte, wie er sich an einen der Tische am Fenster setzte. Und sie spürte seinen Blick im Nacken. Eine Gänsehaut lief ihr den Rücken hinab. Anne fasste sie am Arm.
„Leslie“, raunte sie ihr zu, „da ist der Typ schon wieder!“
Leslie antwortete nicht, drehte sich auch nicht einfach so um, wie Melissa es tat. Sie fand ihn unheimlich, aber im Vorbeigehen funkelte sie ihn trotzdem wütend an und folgte dann, so schnell sie konnte, Melissa und Anne. Seine fast schwarzen Augen, die so gleichgültig, dass es fast schon gespielt wirkte, zu ihr aufgesehen hatten, noch genau im Gedächtnis. Und sie biss sich auf die Unterlippe, als sie daran dachte, dass er schönere Augen hatte, als Antonio. Ach, Schnickschnack!
Die glühende Mittagshitze trieb Anne, Leslie und Melissa zurück ins Hotel und dort blieben sie im Schutz der Klimaanlage. Leslie hatte es nun endlich gewagt, ihren Koffer aus der Badewanne hinter dem Duschvorhang hervor zu holen und ihre Kleider, Bücher und was sie sonst noch alles eingepackt hatte, in den Schrank an der Wand neben dem großen Fenster zu räumen. Anne lag auf dem Bett und hörte Musik, zum Text bewegte sie lautlos die Lippen und wippte mit den Füßen im Takt, konnte sich aber scheinbar nicht entscheiden, was sie hören wollte, denn schon nach kurzer Zeit legte sie ihren iPod zur Seite, stand mit den Worten: „Ich bin duschen“, auf und verschwand im Bad. Jetzt war Leslie alleine in ihrem Zimmer. Melissa war einen Stock unter ihnen, um ihrem Vater einen Besuch abzustatten.
Das leise Surren des Abzugs im Bad und das Ticken von Annes Wecker, den sie auf ihren Nachtschrank gestellt
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