Zwischen Olivenhainen (German Edition)
zogen kreischend ihre Kreise über den Wellen, aber auch sie verschwanden mit zunehmender Dunkelheit und begaben sich zurück zu ihren Schlafplätzen in den Bäumen. Die Wellen schlugen glucksend gegen die Schiffe und die Pfeiler, die aus dem Wasser ragten, und erzeugten dabei ein leises Gurgeln. Leslie atmete den frischen Geruch der See ein und mit einem Mal fühlte sie sich seltsam schläfrig.
„Lasst uns zurück zum Hotel gehen, ja?“, sagte sie zu Anne und Melissa und sprang vom Pfosten. Melissa nickte nur, Anne blieb sitzen.
„Der Typ da hinten starrt dich schon die ganze Zeit über an“, raunte sie Leslie leise zu.
Vorsichtig schaute Leslie auf, in dieselbe Richtung, in die Anne deutete, und sah nur noch, wie der fremde Junge von gestern Nacht in einem der Restaurants verschwand, die sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite befanden. Aufgrund seines schwarzen Anzuges war er beinahe mit der Nacht verschmolzen und so war sich Leslie nicht ganz sicher, ob er es tatsächlich gewesen war. Sie fragte sich, ob er nur zufällig hier im Hafen war oder, und das beunruhigte sie sehr, vor allem, als sie an das Sicherheitsschloss an seinem Koffer dachte, er hatte sie beobachtet. War der Inhalt des Koffers so wichtig gewesen, dass er befürchtete, sie könne es irgendwie herausgefunden und jemandem verraten haben? Gott bewahre! So wie er sich gestern Nacht verhalten hatte, hatte er nicht vor, erkannt zu werden, aber sein Gesicht hatte sie sich eingeprägt. Wenn er Verstecken spielen will, soll er doch, dachte sie grimmig. Suchen werde ich ihn ganz sicher nicht, Pech gehabt.
Und mit dieser Einstellung schloss sie sich Anne und Melissa an, die schon einige Schritte vorausgegangen waren, vielleicht, weil sie dachten, Leslie wolle den fremden Typen ein wenig genauer unter die Lupe nehmen. Aber den Spaß würde sie ihnen verderben.
7
Die darauffolgenden Tage verbrachten Anne, Leslie und Melissa damit, sich von Signor Pelliciano quer durch Sizilien kutschieren zu lassen. Sie stiegen den Ätna hinauf, zumindest soweit man es durfte, besuchten Catania, schauten sich noch einige weitere Tempel an und machten sich zwischendurch auf, Palermo zu erkunden.
Nach zwei Stunden in sengender Hitze bekam Melissa Kopfweh und Leslie einen Schwindelanfall. Dass sie am Morgen nichts gegessen hatte, verschwieg sie Anne und Melissa vorsichtshalber. Es würde ihr ja nicht mehr allzu oft passieren. So sah sich Anne gezwungen, ihre beiden Freundinnen in das nächstgelegene Eiscafé am Straßenrand zu schleppen und ihnen allen drei einen großen Becher Spaghettieis zu bestellen. Der Kellner brachte es ihnen an den Tisch und Leslie starrte Anne entgeistert an.
„Das ist doch nicht dein Ernst?“, entfuhr es ihr. Angeekelt blickte sie auf ihre riesige Eisportion. Mit haufenweise Schokoladensoße und Sahne. Aber Anne nickte nur ernst.
„Doch“, sagte sie, „du kannst ein wenig was auf den Rippen gebrauchen, meine Liebe.“ Und damit ließ sie Leslie keine Sekunde aus den Augen. Mürrisch schob diese sich eine Löffelspitze Eis nach der anderen in den Mund. Es schmeckte wirklich köstlich, daran bestand kein Zweifel, aber ihr Unterbewusstsein sträubte sich gewaltig.
„Jetzt mach nicht so ein Gesicht“, raunte Melissa ihr zu, „sonst kommt gleich der süße Kellner da hinten und fragt, ob es dir schmeckt.“ Der ‚süße‘ Kellner stand hinter dem Tresen und schaute zu ihnen herüber. Er sah wirklich ganz passabel aus.
„Der hat dich so komisch angesehen“, kicherte Melissa und verschluckte sich beinahe an ihrem Eis. Leslie verdrehte die Augen.
„Echt jetzt!“, sagte Anne grinsend und nach einer Weile: „Was ist denn jetzt eigentlich mit dem Typen von Montagabend? Hast du den wiedergesehen? Ich fand ihn irgendwie gruselig, so wie er dich angestarrt hat.“ Sie schüttelte sich.
Richtig, dachte Leslie entsetzt, den hatte ich ganz vergessen! Sie fragte sich, ob es nicht besser war, ihre Begegnung mit ihm zu vergessen. Allerdings stand ihr blöder Koffer unübersehbar direkt neben ihrem Bett.
„Den hab’ ich nicht mehr gesehen“, sagte sie möglichst gleichgültig. Anne sagte nichts. Sie lächelte bloß abwesend und kaute an ihrem Löffel. Ihr Eis hatte sie schon aufgegessen. Vorsichtig schielte Leslie zu dem Kellner herüber, der gerade dabei war, einen der runden Tische am Fenster mit einem Tuch abzuwischen. Er konnte nicht älter als siebzehn sein. Als er ihren Blick bemerkte, grinste er ihr zu, bevor er wieder
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