Zwischen Olivenhainen (German Edition)
Mario matt.
„Bring mich hin“, forderte sie dann mit fester Stimme, „Mario, bring mich zu ihm!“ Doch Mario zögerte. Warf ihr einen seltsamen Blick zu, den sie beim besten Willen nicht deuten konnte.
„Ich weiß nicht, ob das so gut ist …“, sagte er. „Du würdest – ich weiß nicht, ob er will, dass –“
„Das ist mir egal! Er hat dich hergeschickt, oder?“
„ Sì .“
„Dann bring mich zu ihm, verflucht noch mal!“ Sie betonte jedes einzelne Wort. Da resignierte Mario. Er senkte den Kopf, nickte müde und ging auf sein Auto zu. Ohne das Haus abzuschließen folgte Leslie ihm, im Nachthemd, nur ihre Sandalen hatte sie schnell übergezogen.
Der silberne Jaguar schoss über die Straßen, so schnell, wie es sonst nur Raffaello geschafft hätte. Mario starrte verbissen geradeaus durch die Windschutzscheibe und Leslie klammerte sich neben ihm am Sitz fest, den Blick ins Leere gerichtet. Mit einem Mal, ganz plötzlich, überkam sie der Gedanke, dass sie nie wirklich an diese Welt geglaubt hatte, in der Raffaello lebte, in der er eine so mächtige Rolle spielte. Dass sie die Verbrechen, die um sie herum geschehen waren, nie hatte wahrnehmen wollen – aber jetzt war es so weit. Jetzt war sie in seiner Welt angekommen. In einer Welt aus Gewalt und Verbrechen, aus Mord und Erpressung. In einer Welt, in der es diese alten, mächtigen Paten wirklich gab, nicht nur im Film, in einer Welt, in der man jederzeit immer und überall erschossen werden konnte, wenn man nur einen falschen Ton von sich gab. Sie befand sich mittendrin. Diese Tatsache überkam sie so heftig, dass ihr schlecht wurde vor Angst.
Mario hatte sein Auto noch nicht einmal ganz zum Stehen gebracht, als Leslie auch schon die Tür aufstieß und aus dem Wagen sprang. Wie angewurzelt blieb sie stehen, als ihr Blick auf eine Gruppe von Leuten fiel, die vor dem Krankenhaus an der Wand lehnten und sich unterhielten. Journalisten. Mit Fotoapparaten. Einer sogar mit Kamera. Großer Gott!
„Ich habe dafür gesorgt, dass die nicht zu ihm durchkommen“, sagte Mario, der neben Leslie getreten war. „Er hat seine Ruhe. Nur ein paar Wachen habe ich zu ihm geschickt. Aber ich fürchte, die hat er schon wieder entlassen …“
Er setzte seine Sonnenbrille auf und eilte voraus auf den Eingang zu. Die Jacke seines schwarzen Anzuges flatterte hinter ihm her und Leslie musste sich beeilen, um mit ihm Schritt halten zu können. Jetzt kam sie sich allmählich doch etwas seltsam vor, in dem dunkelblauen Nachthemd, das sie noch immer trug. Allerdings konnte man es auch als Kleid durchgehen lassen, wenn es nur nicht so kurz gewesen wäre.
Im Krankenhaus am Empfang tummelten sich noch mehr Journalisten. Krankenschwestern in weißen Kitteln hatten sichtlich ihre liebe Mühe damit, sie sich vom Hals zu halten und sie daran zu hindern, durch die breite Glastür zu schlüpfen, durch die Mario Leslie nun in all dem Durcheinander führte – was wiederum einigen Journalisten nicht entging. Die Folge war schreckliches Blitzlichtgewitter und aufgeregte Rufe. Eilig schloss Leslie die Tür hinter sich und folgte Mario zu den Fahrstühlen. Schweigend fuhren sie in den fünften Stock, die Türen öffneten sich mit einem hellen ‚Pling‘ und Mario und Leslie traten hinaus auf einen langen, beinahe schon düsteren Gang, der Leslie für eine Sekunde schauern ließ.
Fast schien es, als zögerte Mario, weiterzugehen. Er war langsamer geworden, und als sie schließlich vor einer breiten, weißen Tür am Ende des Ganges stehen blieben, drehte er sich zu Leslie um. Zweifel lagen in seinem Blick, er musterte Leslie eindringlich, bevor er die Klinke herunterdrückte. Doch dann hielt er noch einmal inne.
„Bist du dir sicher, dass du ihn sehen willst?“, fragte er. Er klang müde. Und plötzlich wurde Leslie unsicher. Schrecklich unsicher. Sie wagte nicht daran zu denken, wie sie Raffaello vorfinden würde. Blutverschmiert und schwach …
„Ist es …“, brachte sie stockend hervor, „ist es so schlimm?“ Beinahe hatte sie Angst vor seiner Antwort.
„Nein, es ist nur –“. Aus dem Zimmer drang eine ärgerliche, ziemlich ungeduldige Stimme. Raffaello. Er sprach Italienisch, aber es hörte sich ganz nach „Himmelherrgott, Mario, jetzt lass sie schon rein!“ an. Und Mario öffnete seufzend die Tür. Zögernd trat Leslie ein. Da lag er, nein, er saß aufrecht, das Kopfteil des Bettes stand senkrecht und blickte ihr mit einer nicht zuzuordnenden Mischung aus
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