Zwischen Olivenhainen (German Edition)
darüber, dass Antonio Raffaello verraten und ihn somit ohne Skrupel in den Tod hatte schicken wollen, wohl wissend, worauf er sich da einließ.
„Dieser“, brachte sie stockend hervor, „dieser … Arsch!“ Doch sie meinte nicht wirklich Antonio damit. Viel mehr richtete sich ihre Wut nun gegen Gosetti, der seelenruhig vor ihr saß.
„Und wer sagt, dass ich Ihnen das abkaufen soll?“, pflaumte sie ihn an. Gosetti hob beide Schultern und seufzte.
„Du bist viel zu gutgläubig, Leslie“, sagte er. „Wenn du weiterhin Augen und Ohren verschließt, wird dein Leben einfacher, aber nicht unbedingt glücklicher verlaufen.“
„Das ist keine Antwort!“, rief sie aufgebracht, als er aufstand. Er zuckte die Achseln.
„Vielleicht nicht“, sagte er nur, dann nickte er ihr zu und mit einem „Wir sehen uns wieder“ wandte er sich ab und schlenderte fast gelassen den langen, düsteren Gang hinunter auf die Fahrstühle zu, um ins Erdgeschoss hinabzufahren, wo mit Sicherheit schon einige Reporter und auch seine Kollegen auf ihn warteten. Ganze zehn Minuten stand Leslie einfach nur mit verschränkten Armen und trotzig vorgeschobener Unterlippe da und ließ seine Worte auf sich wirken. Dann stürmte sie vor Wut schnaubend zurück zu Mario und Raffaello ins Zimmer.
„ Madonna , was hat er denn gesagt?!“, entfuhr es Mario entsetzt, als er ihren Gesichtsausdruck sah. Leslie ließ sich neben Raffaello auf die Bettkante fallen und stierte wütend vor sich hin, regte sich auch dann nicht, als Raffaello zu ihr heranrückte und sie mit seinem gesunden Arm von hinten umarmte.
„Leslie, was hat er dir erzählt?“, raunte er ihr ins Ohr, doch sie antwortete nicht. Weil sie genau wusste, wie er darauf reagieren würde. Was er als Nächstes tun würde, wenn er von der Sache mit Antonio erfahren würde. Doch sie wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er es erfahren würde.
„Er hat dich wiedermal schlecht gemacht …“, murmelte sie schließlich. Was immerhin die halbe Wahrheit war. Sie wusste genau, dass er ihr nicht glaubte, aber das war ihr im Moment herzlich egal. Eine halbe Stunde lang saß sie einfach nur da und sprach kein Wort, regte sich nicht und starrte wütend vor sich hin – bis ihr Handy klingelte und Anne ihr knapp mitteilte, dass sie auf dem Parkplatz auf sie wartete.
44
Anne war alleine gekommen. Ohne Antonio. Sie ging unruhig vor Antonios rotem Lieferwagen auf und ab, bis sie Leslie erblickte. Sie blieb einfach nur stehen und sah ihr entgegen. Keine Freude zeichnete sich auf ihrem sommersprossigen Gesicht ab, ihre hellblauen Augen blieben vollkommen ausdruckslos, als Leslie bei ihr ankam und sich zu einem Lächeln zwang. Vielleicht, überlegte Leslie, vielleicht lernt man mit der Zeit, so zu tun, als wäre einem alles egal, wenn man nur lange genug mit etwas zu tun hat, dem man nicht gewachsen ist.
Nach kurzem Zögern schloss Anne sie flüchtig in die Arme, murmelte etwas, das wie „Bin froh, dass es dir gut geht“ klang, dann ging sie um den Lieferwagen herum, kletterte hinein und auch Leslie stieg neben ihr ins Auto, noch während sie den Motor anließ.
„Wie … geht’s dir?“, fragte Anne nach einer ganzen Weile des Schweigens, die sie in einem Stau mitten auf der Kreuzung verbracht hatten. Jetzt konnte Leslie sie doch aus der Stimme ihrer Freundin heraushören, die Freude – und tiefe Sorge.
„Was frag ich eigentlich so blöd?“, murmelte Anne entschuldigend. „Dein … Romeo wurde fast erschossen … Tut mir leid.“ Sie hatte ‚Romeo‘ gesagt, nicht ‚Mafioso‘. Beinahe musste Leslie lächeln.
„Ist schon okay“, entgegnete sie, als Anne den Wagen endlich wieder in Bewegung setzte. „Ihm geht’s ganz gut. Jedenfalls behauptet er das …“
„Hast du was anderes von ihm erwartet?“, fragte Anne kühl.
„Nein“, gab Leslie leise zu. Und trotzdem hatte sie darauf vertraut, dass er ihr die Wahrheit gesagt hatte, obwohl sie sich mit einem Mal keineswegs mehr im Klaren darüber war, wie es ihm wirklich ging. Was in seinem Kopf vorging. Sie wusste überhaupt nichts von dem, was er dachte. Rein gar nichts.
„Wohnst du noch bei Antonio?“, fragte sie, um sich ein wenig abzulenken. Anne nickte.
„Hm“, machte sie. „Gleich über der Pizzeria hat er seine Wohnung. Ich hab’ erst mal aufgeräumt.“ Sie grinste. „Jeden Tag Pizza und Spaghetti – das hat was.“ Leslie lächelte zurück. Vielleicht war ja doch alles in Ordnung zwischen ihnen.
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