Zwischen Olivenhainen (German Edition)
Straßenseite, auf der sich eine Pizzeria befand. Ziemlich viele Leute saßen dort an den Tischen und plötzlich hatte Leslie keine Lust mitzukommen.
Melissa nickte begeistert, aber Leslie schüttelte den Kopf.
„Ich komme vielleicht nachher dazu“, sagte sie, ohne Anne anzusehen, „aber jetzt habe ich noch keinen Hunger. Ich wollte sowieso noch in das Geschäft da drüben.“
Wahllos zeigte sie auf ein Schaufenster, in dem Schuhe aller Art gestapelt waren. Anne holte scharf Luft, um ihre Missbilligung auszudrücken, aber dann lächelte sie ihr zu und machte sich mit Melissa auf den Weg, eine Ampel zu suchen, an der die Autofahrer bei Rot auch hielten.
Nun stand Leslie alleine vor dem Laden und plötzlich wusste sie nicht mehr, was sie machen sollte. Sie hatte absolut keine Lust mehr, in irgendein Geschäft zu gehen, außerdem war ihr Taschengeld auf eine klägliche Summe von fünf Euro geschrumpft. Damit ließ sich nicht viel anfangen. Ihr blieb also nichts anderes übrig, als gelangweilt die Straße auf und ab zu gehen und darauf zu warten, dass Anne und Melissa endlich fertig waren mit essen.
Sie betrachtete ihr Spiegelbild in dem Schaufenster mit den Schuhen. Sie war viel zu dünn, das wusste sie, aber trotzdem konnte sie nichts dagegen unternehmen. Solange es nicht zu schlimm wurde. Sie würde schon nicht verhungern, obwohl Anne immer wieder davon anfing. Dämliche Sprüche. Ihre langen, kastanienbraunen Haare mochte sie, ebenso wie ihre Stubsnase und die vollen Lippen. Nur ihre Augen fand sie manchmal etwas seltsam. Sie waren groß und hellgrau wie der Mond, fast schon silbrig schimmernd. Haiaugen, sagte Anne immer dazu. Und auf eine seltsame Art und Weise gefiel Leslie dieser Ausdruck. Bloß, dass sie sich vor Haien fürchtete, seit sie den ‚Weißen Hai‘ gesehen hatte und sie fand, dass ihre Augen manchmal viel zu leblos und kalt aussahen. Ihre Augenbrauen waren breit und dunkel und einige Sommersprossen zierten ihr Gesicht.
Mit den beiden Einkaufstüten sah sie aus, als würden ihr gleich die dünnen Storchenbeine unter dem Hintern wegknicken, fand sie. Schnell stellte sie die Taschen ab, und als sie wieder aufblickte, erschrak sie sich fast zu Tode, als ein ihr wohlbekanntes Spiegelbild neben ihrem eigenen im Schaufenster aufgetaucht war.
„So sieht man sich wieder“, sagte Raffaello und grinste. Seine Sonnenbrille hatte er an den hellgrauen Anzug gesteckt, den er trug. Bei der Hitze – Leslie schauderte.
Er trug eine eisblaue Krawatte und das pechschwarze Haar fiel ihm wild ins Gesicht.
„Hi“, machte Leslie nur kühl, nachdem sie nach dem ersten Schrecken ihre Sprache wiedergefunden hatte. Aber dann schwieg sie, weil sie nicht wusste, was sie mit ihm reden sollte.
„Warst du erfolgreich?“, fragte er und deutete auf ihre Einkaufstüten. Das Zeug darin stammte bloß aus Billigläden. Mehr gab ihr Taschengeld nicht her.
Sie nickte. „War ganz gut, denke ich.“ Sie sprach lieber zu seinem Spiegelbild, als ihn direkt anzusehen. Er ging auf dieses Spiel ein und wandte sich ihr ebenfalls nicht zu. Scheinbar amüsierte ihn das Ganze, denn er lachte kurz auf und musterte Leslie und dann sich selbst im Schaufenster.
„Seltsam, dass du mich immer alleine antriffst“, sagte Leslie spöttisch.
Er vergrub die Hände in den Hosentaschen.
„Ja, nicht?“, sagte er. „Aber zufällig weiß ich, dass deine beiden Freundinnen in der Pizzeria dort drüben sitzen und Spaghetti Bolognese essen.“
Sie hob die Brauen. „Ach? Woher?“
Er zuckte die Achseln. „Bis eben habe ich dort auch etwas gegessen, und als ich die beiden hereinkommen sah – ohne dich – habe ich mich gefragt, wo du bist und dich schließlich gefunden.“ Er lächelte sein Macholächeln.
„Aha“, machte Leslie. Sie glaubte ihm nicht eine Minute, dass er in einer so gewöhnlichen Pizzeria aß. Das war nicht seine Preisklasse. Unter seiner Würde.
„Hast du heute Lust auf ein Eis? Oder auf einen Cappuccino?“, fragte er sie hoffnungsvoll.
„Du kannst mich doch nicht immer einladen!“, entrüstete sie sich.
„Nicht? Schade, ich dachte …“ Beinahe wirkte er zerknirscht.
„Dann muss ich mich revangieren!“, verteidigte sie sich mit gespielter Empörung. Seine Miene hellte sich auf.
„Darauf wollte ich hinaus!“, sagte er und grinste so unverschämt, wie es gar nicht zu seinem erwachsenen Aussehen passen wollte. „Wir können aber auch hier stehen bleiben und uns im Schaufenster betrachten“, sagte
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