Zwischen Olivenhainen (German Edition)
unter seinem stechenden Blick. Was ging ihn Raffaello an?
Sie zuckte die Achseln. „Ich habe ihn gestern getroffen und wir haben uns unterhalten.“ Mr. Gosetti hob die Augenbrauen.
„Ein sizilianischer Verehrer?“, fragte er grinsend, aber seine Stimme klang todernst. Unruhig trat Leslie von einem Fuß auf den anderen. Was zum Teufel sollte das werden? Ein Verhör? Er hatte nichts mit Raffaello zu tun, er ging ihn nichts an. Nicht das allerkleinste bisschen. Also antwortete sie nicht darauf. Sie lächelte bloß peinlich berührt, um ihn in dem Glauben zu lassen, sein Witz wäre angekommen und sie habe die beunruhigende Ernsthaftigkeit in seiner Stimme nicht gehört.
„Wie heißt er?“, fragte Mr. Gosetti. Sollte sie ihm darauf antworten? Was sprach schon dagegen? Aber wäre es auch Raffaello recht? Unsinn, dachte sie, er bekommt es ja nicht mit.
„Raffaello“, sagte sie leise. Es war seltsam, seinen Namen auszusprechen.
„Und weiter?“
Nein, seinen Nachnamen würde sie ihm nicht auch noch verraten. Außerdem wusste sie nicht mehr so recht, wie man den überhaupt aussprach.
„Keine Ahnung“, sagte sie trotzig. Vielleicht ein wenig zu trotzig.
Mr. Gosetti senkte die Stimme. „Vielleicht ‚Ruggiero ‘?“, fragte er sie. „Kommt dir das bekannt vor?“
Leslie erstarrte. Woher wusste er das? Er kannte Raffaello doch gar nicht! Oder doch? „Ich war auf einer wichtigen Besprechung“, hatte Raffaello zu ihr gesagt. Sollte das am Ende genau dieselbe sein, auf der Gosetti war? Unsinn, dachte sie. Gosetti arbeitete für Versicherungen. Was sollte Raffaello damit zu tun haben?
„Kennen Sie ihn?“, fragte sie vorwurfsvoll.
Mr. Gosetti gab ein seltsames Grunzen von sich und rieb sich seinen Schnauzbart.
„Kennen ist zu viel gesagt“, murmelte er. „Sagen wir … ich habe mit ihm zu tun. Was meine Arbeit betrifft. Nun ja, eher mit seiner Familie.“
Er klang seltsam, als er das sagte. Leslie hätte nicht beschreiben können, wie.
„Hat denn sein Vater auch mit Versicherungen zu tun?“, fragte sie.
„Nein. Jedenfalls nicht direkt.“
„Mit was dann?“ Das Ganze beunruhigte sie immer mehr. Mr. Gosetti zuckte nur die Schultern.
„Mit allem Möglichen mehr oder minder wichtigen Kram. Mit Politik hauptsächlich.“
Deshalb ist er so reich, dachte Leslie. Kein Wunder. Wer einen Vater hatte, der Politiker war, der hatte fürs Erste in den nächsten Jahren keine Geldsorgen mehr. Aber warum hatte Raffaello dann nicht mit ihr über seinen Vater sprechen wollen? Vielleicht wollte er nicht allzu viel angeben, dachte sie und musste grinsen.
„Und?“, fragte Mr. Gosetti schließlich. „Wie findest du ihn?“ Leslie wollte ihm nicht antworten. Zudem hätte sie nicht gewusst, was. Was ging ihn das eigentlich an? Aber plötzlich kam ihr in den Sinn, dass er wahrscheinlich einfach nur höflich sein wollte, wenn er sich schon in seiner kostbaren Mittagspause mit ihr herumschlug. Wahrscheinlich wäre es besser, schnell zu verschwinden und ihm so seine wohlverdiente Pause gönnen.
„Er ist ganz nett“, sagte sie dann.
„In der Tat …“, entgegnete Mr. Gosetti und Leslie verunsicherte das Knurren in seiner Stimme. Seltsamer Kauz.
„Was hat er dir so erzählt?“
„Alles Mögliche.“
„Hm.“
Erneut schwiegen sie und Leslie kam sich immer mehr vor, wie in einem Verhör. Plötzlich hatte sie große Lust, zu Anne und Melissa zu gehen. Ein wenig Hunger hatte sie sogar.
„Triffst du ihn wieder?“, fragte Mr. Gosetti.
Was sollte das denn jetzt? Das ging ihn nun wirklich nichts an. Sie schüttelte den Kopf.
„Nein“, sagte sie mit fester Stimme, dann verabschiedete sie sich von Melissas Vater, um sich auf den Weg zu ihren Freundinnen zu machen. Sie spürte Mr. Gosettis stechenden Blick noch lange im Rücken, und als sie sich kurz umdrehte, stand er tatsächlich noch da und blickte ihr nach. Fast nachdenklich wirkte er. Sie beschloss, ihn als unangenehm zu betrachten.
Der Tag neigte sich seinem Ende zu, Leslie hatte doch eine Kleinigkeit mit Anne und Melissa gegessen und auf die Frage, wo sie denn so lange gewesen sei, entgegnete sie nur, dass sie nach Sandalen gesucht hatte. Raffaello und das Gespräch mit Mr. Gosetti verschwieg sie den beiden vorsichtshalber.
Bald machten sich die Drei auf den Weg zum Auto, in dem Signor Pelliciano noch immer vor sich hindöste, und warteten auf Melissas Vater, der tatsächlich fünf Minuten nach vereinbarter Zeit am Wagen auftauchte. Er
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