Zwischen Olivenhainen (German Edition)
schüttelte nur den Kopf. Aber hatte er das nicht? Sie einfach so zu küssen, ohne ihr zu sagen, ob er es ernst meinte? Vielleicht.
„Was war dann los?“ fragte Anne und legte ihr einen Arm um die schmalen Schultern.
„Will ich für mich behalten“, flüsterte Leslie. Ihre Stimme klang brüchig.
„Klingt aber nicht so, als sei es auf Dauer gut für dich“, bemerkte Anne besorgt.
„Ich weiß.“
„Erzähl es mir.“ Doch Leslie schwieg. Sie wollte sich nur ausruhen. Nie mehr reden. Sie stand auf und ging zur Tür.
„Er hat mich geküsst“, sagte sie leise, bevor sie die Klinke herunter drückte.
16
Anne und Melissa waren mit Leslie in die Innenstadt gegangen zum Shoppen. Wahrscheinlich war Anne der Meinung, ein wenig Ablenkung täte ihr gut und jetzt besaß Leslie einige neue Blusen und Kleider, doch glücklicher machte sie das nicht. Im Gegenteil. Irgendwie fühlte es sich falsch an. Zeitverschwendung.
„Hat jemand von euch Lust, Antonio einen Besuch abzustatten …?“, fragte Melissa nach einer Weile zögernd. „Ich meine, sollten wir uns nicht bei ihm … entschuldigen oder so?“
„Hm“, machte Anne nur und blickte zu Leslie herüber. Die schüttelte den Kopf.
„Ich komme nicht mit“, sagte sie.
„Dann gehe ich alleine“, sagte Melissa und lief eilig voraus, wobei sie seltsam hin und her wackelte, denn die vielen Einkaufstüten erschwerten ihr das Gehen auf ihren zu hohen Absätzen. Leslie hasste dieses schrill klackernde Geräusch, das sie dabei verursachte. Wie konnte man nur auf solchen Dingern laufen? Sie selbst bevorzugte schlichte Turnschuhe und Sandalen. Anne schenkte ihr einen fragenden Blick.
„Meinst du, ich sollte auch …?“, setzte sie vorsichtig an, doch als sie Leslies Blick begegnete, klappte sie den Mund schnell wieder zu. „Soll sie alleine gehen“, sagte sie hastig. Leslie rang sich ein gequältes Lächeln ab.
„Gehen wir runter zum Hafen?“, fragte sie.
„ Jep “, sagte Anne, dann nahm sie ihrer Freundin zwei Einkaufstüten ab und setzte sich ächzend in Bewegung.
Im Hafen war nicht viel los, nur einige Touristen schlenderten am Pier entlang, einige Jogger drehten ihre Runden, Hunde sausten ihren Herrchen mit wehender Zunge hinterher. Zögernd warf Leslie einen Blick in Richtung Meer. Raffaellos Dreißig-Meter-Jacht war nicht mehr zu sehen. Gott sei Dank. Sie atmete auf.
„Und jetzt?“, fragte Anne, nachdem sie die schweren Tüten abgestellt hatte.
„Wir gehen einfach ein Stück, ja?“, sagte Leslie.
„Und unsere Sachen?“
„Lassen wir hier.“
„Und wenn sie jemand klaut?“, entrüstete sich Anne entsetzt. Ganz kurz beschlich Leslie das Gefühl, beobachtet zu werden, doch dann zuckte sie die Schultern.
„Dann kann man nichts ändern“, sagte sie. Einen Moment sah Anne sie mit einem Ausdruck auf dem Gesicht an, als bezweifle sie, dass sie noch bei Sinnen war, doch dann hakte sie sich bei Leslie unter und zog sie mit sich. Ein sanfter Seewind blies ihnen entgegen, Möwen kreischten in der klaren Luft.
„Du bist schweigsamer geworden“, begann Anne nach einer Weile vorsichtig. Leslie zog es vor, ihr vorerst zuzuhören. Sie schwieg und musterte die riesigen Kräne, die an einigen der Schiffe standen und in den makellosen Himmel ragten.
„Seit einer Woche ist es mir aufgefallen“, fuhr Anne fort. „Gut, manche Begegnungen verändern einen, aber …“
„Es war nicht direkt die Begegnung mit ihm , wenn du das meinst“, unterbrach Leslie sie. „Ich weiß nicht so genau …“ Darauf schwieg Anne eine Weile.
„Aber er hat irgendwas mit dir angestellt“, sagte sie dann.
„Ach? Und was?“
„Hm. Vergiss es besser“, sagte Anne. „Du solltest den Typen in den Wind schießen“.
Die Sonne brannte vom unwirklich blau wirkenden Himmel herab. Möwen drehten kreischend ihre Kreise über dem Meer. Manche stürzten sich urplötzlich im Tiefflug in die von weißen Schaumkronen übersäten Wellen gleich neben den Schiffen.
„Wann hast du ihn das erste Mal getroffen?“, fragte Anne.
„Raffaello?“
Anne nickte.
„Vor ungefähr zwei Wochen“, sagte Leslie. Auf einmal wurde ihr wieder schlecht. Scheiße. Er ist wie ein Virus, dachte sie und biss die Zähne zusammen.
„Wie oft habt ihr euch gesehen?“, fragte Anne.
„Hin und wieder mal“, entgegnete Leslie ausweichend. „Ihr wart nie dabei …“
„Das hat er schlau angestellt.“ Anne klang trotzig. Aber Leslie schüttelte den Kopf.
„Meistens war es Zufall.
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