Zwischen Olivenhainen (German Edition)
ihrem Magen zog sich alles krampfhaft zusammen. Sie trat an das geöffnete Fenster und berührte mit den Fingern ihre Lippen, die Raffaello vor Kurzem noch geküsst hatte. Ihr erster Kuss und sie hatte alles versaut. Scheiße.
Sie wusste später nicht, wie lange sie so dagestanden hatte, aber als sie sich zwang, sich aus ihren trüben Gedanken zu reißen, stand die Sonne schon tief, die Schatten in den Straßen waren länger geworden und die umliegenden Häuser und Autos sahen aus, als wären sie mit Gold überzogen. Leslie liebte diese Augenblicke zwischen Nachmittag und Abend. Die Welt wirkte dann beinahe unecht. So, als stünde man irgendwo zwischen der Zeit und dem Rest der Welt. Sie atmete tief ein. Die Luft roch nach Orangenblüten und dem nahen Meer. Irgendwie frisch und schwer zugleich. Und trocken. Leslie schloss die Augen und hielt ihr mittlerweile gebräuntes Gesicht mit einigen Sommersprossen den schwachen, goldenen Sonnenstrahlen entgegen. Beinahe kam es ihr so vor, als habe sie Raffaello vergessen. Doch ihr Magen zog sich erneut zusammen, als sie an ihn dachte.
„Ich hasse ihn“, flüsterte sie der tiefgoldenen Sonne entgegen. Die Sonne hing schwer über den Dächern und antwortete nicht. Sie sank nur immer tiefer. Die Schatten zwischen den Häusern verschmolzen, Vespas knatterten durch die Straßen. Der Verkehr schien immer dichter zu werden. Als Leslie hörte, wie Anne und Melissa den Schlüssel in das Schloss an der Tür steckten, wünschte sie sich, sie hätte sich ein eigenes Zimmer genommen.
Anne und Melissa hatten eine dieser ekelhaften Fertigpizzen zum Abendessen mitgebracht. Mit viel Salami und irgendeiner furchtbar scharfen Soße. Leslie hatte keinen Hunger. Lustlos kaute sie an einer Tomatenscheibe herum, die nach gar nichts schmeckte, obwohl sie Tomaten eigentlich gerne aß.
„Leslie“, sagte Anne plötzlich und piekte ihr mit ihrer Gabel sanft in den Handrücken. „Jetzt iss doch. Du bist sowieso so dürr.“ Sie lächelte. Anne meinte es nur gut, natürlich. Aber das half auch nichts gegen das bleierne Gefühl in ihrem Magen. Leslie legte ihre Gabel neben den Teller. Ihr war plötzlich schlecht. Schrecklich schlecht.
„Wie war es noch so bei Antonio?“, fragte sie Anne und Melissa, ohne eine der beiden anzusehen. „Hat er euch in Stücke gerissen oder so was?“ Es sollte gleichgültig klingen, fast gelangweilt, doch ihre Stimme geriet eine Spur zu hoch. Sie räusperte sich und zupfte abwesend an ihren langen, kastanienbraunen Haaren herum.
„Nö“, sagte Melissa. Ihre Augen glänzten. „Er hat gar nichts mehr gesagt und uns unser Eis essen lassen. Er hat sich auch nicht mehr blicken lassen. Ich glaube, unser Plan war ein bisschen zu erfolgreich … Was war denn jetzt eigentlich los? Als dieser Typ da aufgetaucht ist? Was hat der denn von dir gewollt, Leslie? War das nicht der, den du schon mal …“
„Lass gut sein, Meli“, unterbrach Anne sie. „Ich denke, du solltest jetzt die Klappe halten.“ Leslie bemerkte den besorgten Blick genau, den sie ihr zuwarf, doch sie tat, als interessiere sie sich nur für ihre Gabel. Anne zog ihren Stuhl dicht neben Leslies und musterte sie aufmerksam.
„Was ist los, hm?“, fragte sie leise und ließ Leslie dabei keine Sekunde aus den Augen. Anne war ihre beste Freundin – ihre allerbeste, doch es gab auch Dinge, über die sie nicht mit ihr sprechen wollte.
„Mir ist schlecht“, brachte Leslie hastig über die Lippen, „ich muss ins Bad.“ Anne verstand.
„Ich komme gleich wieder“, sagte sie zu Melissa, dann nahm sie Leslie am Arm und begleitete sie in das große Bad ihres Zimmers. Sie band Leslie sogar die Haare zurück, als sie sich über das Waschbecken beugte. Sie würgte. Aber es kam nichts hoch. Nur die Tränen, die sie die ganze Zeit über versucht hatte, herunterzuschlucken. Sie tropften in das weiße Waschbecken und sammelten sich zu einer kleinen Pfütze, bevor sie im Abfluss verschwanden. Eine Weile lang saß Anne einfach nur da, auf dem Rand der Badewanne und schaute Leslie zu. Bis sie sich zu ihr setzte und sich ein Stück Klopapier abriss, um sich die Nase zu putzen. Leslie lehnte den Kopf an Annes Schulter. Ganz langsam fiel es ihr etwas leichter, über die ganze Sache nachzudenken. Weinen tat manchmal wirklich gut.
„Also, was ist los?“, fragte Anne nach einer Weile. „Ist es wegen vorhin? Hat dieser Raffaello irgendwas Schlimmes angestellt, wofür ich ihn umbringen sollte?“ Doch Leslie
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