Zwischen Olivenhainen (German Edition)

saß das fröhliche, erwartungsvolle Grinsen auf ihren Lippen. Leslie tat es. Als sie den Umschlag öffnete, kam eine schlichte Geburtstagskarte zum Vorschein, wie man sie in jedem Supermarkt bekommen konnte. Sie schlug sie auf. Und las das, was Anne hineingeschrieben hatte. Und klappte die Karte zu. Ließ sie fallen und starrte Anne mit offenem Mund an.
    „Das ist nicht dein Ernst, oder?!“, brachte sie krächzend über die Lippen. Annes blaue Augen strahlten vor Freude.
    „Doch“, entgegnete sie grinsend.
    „Aber …“ Zu mehr war Leslie im Moment nicht imstande. Sie öffnete die Karte erneut und las sie noch einmal:
„Liebe Leslie,
alles Gute zum achtzehnten Geburtstag!
Und jetzt dein Geschenk:
Wir fahren nächste Woche in Urlaub! Nur wir beide.
Und zwar nach Sizilien!
Ich hab’ uns ein kleines Haus an der Küste in der Nähe von Palermo gemietet.
Du bist meine beste Freundin,
Anne.“
    „Das meinst du nicht ernst!“, beharrte Leslie entsetzt. Aber Anne nickte. Und grinste nur umso breiter.
    „D-Danke“, stotterte Leslie. Nach Sizilien. Ausgerechnet nach Sizilien. Sie hätten überall hinfliegen können, nach New York, Paris, Barcelona vielleicht, aber nein, Anne musste sie ausgerechnet nach Sizilien schleifen. Warum? Ergab das irgendeinen Sinn, den man nur verstehen konnte, wenn man Anne war?
    „Ich dachte mir, da dir die letzten Ferien auf Sizilien ein wenig … nun ja, ‚verdorben‘ wurden“, sagte Anne, „fahren wir nochmal hin und genießen einen richtigen Urlaub. Ohne Mr. Gosetti, ohne Melissa, ohne ein Hotel, ohne deinen Romeo –“
    „Sprich es bloß nicht aus! Ich hab’s begriffen, Anne!“, erwiderte Leslie schnell, dann musste auch sie grinsen. „Danke“, sagte sie noch einmal und dieses Mal meinte sie es ernst. Anne umarmte sie kurz, dann sprang sie vom Bett.
    „Na los, zieh dich an und komm zu den anderen in die Küche – es gibt Schokotorte!“
    „Igitt“, machte Leslie und verzog das Gesicht.
    „Quatsch“, sagte Anne lachend, „wollte dich nur schocken. Es gibt Erdbeerkuchen, wie immer.“ Sie grinste und verschwand aus der Tür.

2. TEIL

19
    Juli, Falcone Borsellino Flughafen, Palermo
    Leslie stellte fest, dass sie sich noch genau an den Flughafen erinnern konnte und auch dieses Mal mussten sie endlos lange auf ihre Koffer warten – und Leslie vergewisserte sich vor Ort gleich dreimal, dass es auch ja ihr Koffer war. Sie hatte ihren kleinen, schwarzen Trolley gegen eine große, rote Reisetasche eingetauscht, nachdem sie ihren Koffer für zu klein erklärt hatte, aber hauptsächlich wegen des Schocks und der Erinnerungen, die in ihrem Gedächtnis aufgeflammt waren, als sie den kleinen Koffer unter der Treppe hervor geholt und geöffnet hatte – und ihr „ Bella Italia “-T-Shirt, die Fotos von Raffaello, seinen Brief und die Kette darin gefunden hatte. Trotz allem hatte sie beschlossen, die Kette wieder zu tragen. Sie war einfach zu schön und teuer, um sie bloß aus Frust und Liebeskummer unter der Treppe verstauben zu lassen.
    Anne und Leslie nahmen sich ein Taxi, das sie zu ihrem Ferienhaus bringen würde. Als Leslie aus dem Fenster schaute, überkam sie ein seltsam freudiges Gefühl, gefolgt von einem Ziehen in der Brust, was sie nach reichlicher Überlegung als einen Hauch von Sehnsucht anerkennen musste. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, dass sie Sizilien so sehr gemocht – und vermisst hatte. Ein befremdliches Gefühl …
    Vespas knatterten an ihnen vorbei, Autos hupten, hier und da tauchten Fahrradfahrer aus dem dichten Verkehr auf, nur um dann gleich wieder zu verschwinden – und Leslie fragte sich, ob sie nicht schon längst platt gefahren und matschig auf dem Asphalt klebten. Anne legte ihr eine Hand auf den Arm.
    „Da ist das Hotel, in dem wir waren“, sagte sie und zeigte auf die linke Straßenseite. Leslie schaute hin – und lächelte. Es brauchte sie nicht mehr zu interessieren, eine Erinnerung, nichts weiter.
    Nach ungefähr einer halben Stunde ließ das Taxi die Innenstadt hinter sich, die Landschaft wurde einsamer. Immer mehr Büsche und Bäume ragte zwischen den Felsen der trockenen Landschaft hervor und hier und da entdeckte Leslie ein einsames Häuschen zwischen einigen Zypressen. Bald darauf erreichten sie die Küste und zu ihrer Linken erstreckte sich nun das tiefblaue Mittelmeer und Leslie wurde bewusst, dass dies genau die Straße war, auf der sie mit Raffaello zur Lagune Di Oliveri gefahren war. „ Old Before I Die “