Zwischen Rom und Mekka
erste umfasst jene, in denen Muslime mehr als 90 Prozent der Gesamtbevölkerung stellen. Sie können die Grundlagen des zivilen Zusammenlebens aufstellen, gewöhnlich ganz nach den Vorgaben der Scharia, des islamischen Gesetzes. Die nicht muslimischen Minderheiten sind von ihnen abhängig und auf das Wohlwollen der Muslime angewiesen, wie schon der Koran es bestimmt.
Die zweite Gruppe bilden jene Staaten, in denen Muslime weniger als 90 Prozent der Bevölkerung ausmachen und Minderheiten eine spürbare Bedeutung im Staat erlangen können - wie etwa in Indonesien. Muslime können ihr beträchtliches Eigengewicht in die Waagschale werfen, sind jedoch auch gehalten, Minderheiten, unter Umständen mehrere religiöse Gruppen, zu berücksichtigen, die außerhalb der Scharia individuelles und soziales Leben regeln.
In der dritten Gruppe müssen Muslime aus den Startbedingungen einer Minderheit heraus das Zusammenleben mit der
Mehrheit einer anderen Religion gestalten. Auf dem indischen Subkontinent mit den Nachbarregionen im Westen und Osten ließen sich in den letzten Jahrzehnten die daraus entstehenden Konflikte und Spannungen und die Versuche von Lösungen (in den Staaten Indien, Pakistan und Bangladesch) verfolgen.
Schließlich mehrt sich durch Immigration die Zahl jener Staaten, in denen Muslime (noch) weniger als 10 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Es sind wie in Europa meist Demokratien, pluralistische Gesellschaften, in denen Muslime durch Minderheitenrechte Vorteile genießen. Zugleich wird in den offenen Zivilgesellschaften von ihnen verlangt, ihr Verhalten als Bürger in diesen Rahmen einzufügen. Christen stehen dabei vor der Aufgabe, die Leitkultur aus christlichen Wurzeln und Werten mit den neuen Ansprüchen der Muslime im Dialog neu zu bedenken.
Kapitel 4
Der Problemstand - Historische Lasten und die Grundlagen der päpstlichen Politik
Kunst und Memoria zwischen 846 und 1683
Gewöhnlich gehen die meisten in den Vatikanischen Museen zu Rom achtlos daran vorbei. Es gibt hier Wichtigeres, Kunstvolleres zu sehen als diese beiden Schlachtenszenen auf dem Weg zu den Meisterwerken des Raffael in den Stanzen, zu jenen des Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle. Aber nicht der Zufall hat so kriegerische Szenen in den Hauptpalazzo des Papstes gebracht, sondern ausdrücklicher Auftrag der Hausherren. Denn die Geschichte, auch die des Verhältnisses zwischen Christentum und Islam, ist im Vatikan nie gleichgültiger Vergessenheit anheimgestellt. Die »Memoria«, die Erinnerung an historisches Geschehen, wird vielmehr getreulich aufbewahrt, von Generation zu Generation in der Tradition der Ämter, von Jahrhundert zu Jahrhundert in der kirchlichen Liturgie und - wie hier - aus gegebenem Anlass »zu ewigem Andenken« mit einem Kunstwerk in Szene gesetzt. Der Vatikan kann wegen seiner lückenlosen Überlieferungen in Archiven oder mit Kunstwerken seit zwei Jahrtausenden als das beste Gedächtnis der Welt gelten.
Es war der Renaissancepapst Leo X. (1513-1521), ein Medici aus der Banken- und Kunststadt Florenz, der Anfang des unruhigen 16. Jahrhunderts seinen heiligen Namensvorgänger Leo IV. aus dem dunklen 9. Säkulum feiern und dessen wundersamen Sieg über muslimische Sarazenen in der Seeschlacht bei Ostia, der Hafenstadt Roms, verewigen wollte, in der »Sala
dell’ Incendio«. Das war programmatisch in einer Zeit der Bedrängnis. Die Reformbestrebungen in der Kirche setzten die Papstfürsten unter Druck, die muslimischen Osmanen bedrohten das Abendland nach dem Untergang des Byzantinischen Oströmischen Reiches mit dem Fall Konstantinopels Ende Mai 1453.
Denn, so dachte und denkt man in Rom: Nicht das Christentum hat die Feindseligkeiten zwischen Kirche und Moschee eröffnet und immer wieder weitergeführt, sondern der Islam. Nach dem Auftreten des Propheten Mohammed in Arabien griff die neue Glaubenslehre seit dem 7. Jahrhundert rund um das Mittelmeer über Spanien bis nach Frankreich aus. Dann jedoch werden muslimische Truppen im Jahr 732 bei Tours und Poitiers von dem Franken Karl Martell geschlagen und über die Pyrenäen zurückgeworfen. Im August 846 rücken Sarazenen, gut organisierte Pirateneinheiten, von der See her gegen Rom vor, entweihen zum Entsetzen der abendländischen Christenheit die Kirchen der Apostelfürsten, Sankt Paul vor den Mauern und Sankt Peter, und plündern deren Schätze aus einem halben Jahrtausend. Leo IV. (847-855) ruft die Seestädte Amalfi, Neapel und Gaeta zu Hilfe und
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