Zwischen Rom und Mekka
im Palazzo seines Ministeriums, links von Sankt Peter; die schöne Dienstwohnung, die ihm dort zustand, ließ er einen anderen behalten. Er nahm vorlieb mit einer Wohnung des Vatikans an der Piazza della Città Leonina, einem verkehrsumtosten Platz mit Bushaltestellen und Taxistand. So konnte er wenigstens einen kleinen Spaziergang machen, von der Wohnung durch den Passetto, den bewehrten Gang vom Vatikan zur Engelsburg, durch die Kolonnaden des Bernini, quer über den Petersplatz, noch einmal durch den Säulenwald des Barockkünstlers hin zum Büro. Wenn man ihn, mit schwarzem Talar und Aktentasche, da traf, war er durchaus zu einem Schwätzchen bereit. Und auch, darüber Auskunft zu geben, was es mit der lebhaften Piazza vor den Mauern des Vatikans, neben dem grandiosen Petersplatz, und ihrem Namen auf sich habe.
Sie sei nicht benannt nach Leo III., dem besonders in Deutschland berühmten Papst, sondern nach dem vierten Leo, begann Joseph Ratzinger einmal. Aber dann wurde er unterbrochen. Und wir mussten uns anderweitig kundig machen.
In der Tat hat schon der dritte Leo, Roms Bischof von 795 bis 816, Weltgeschichte geschrieben. Er schob sich in die deutsche
Geschichte hinein, als er, bedrängt von innerstädtischen Widersachern, bei einer Prozession im April 799 überfallen, misshandelt und verwundet, aus Rom floh und über die Alpen zum Frankenkönig Karl nach Paderborn eilte. Da reiften die Ideen von der Erneuerung des westlichen, lateinischen Römischen Kaisertums - mit Auswirkungen auf den Islam, »in partibus infidelium«, wie man damals sagte, »bei den Ungläubigen«. Denn das Imperium Romanum war im Westen dahingeschwunden, sein Zusammenbruch und Ende wurden auf das Jahr 476 datiert. Ein neues musste, sollte, konnte her, aus dem alten hervorgehend, mit frischen Kräften wachsend.
In dieses politische Machtvakuum war die geistlich-zivilisatorische Kraft der Kirche eingeströmt. Das Christentum hatte sich aus einer jüdischen Sekte durch seine universale Botschaft von der Erlösung aller im Römischen Reich langsam entwickelt. Das Evangelium, die frohe Botschaft, erging, ohne Ansehen von Volk und Stand, Geschlecht und Rasse, Herkunft und Bildung. Wie der Apostel Paulus im Brief an die Galater (Kapitel 3, Vers 28) schrieb: »Hier ist nicht Jude noch Grieche [Nichtjude, Heide], hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.« Das Bekenntnis zu Christus ging über alle Grenzen hinweg.
Ohne Zwang und Gewalt
So war das Christentum fast unbemerkt gewachsen, ohne Zwang und Gewalt, durch soziale Evolutionen in den Städten rund um das Mittelmeer begünstigt, alle Unterschiede aufhebend. Die Bischöfe der Hauptstadt Rom, die Hüter der Apostelgräber des Petrus und Paulus, wurden allmählich die vornehmsten Herren der Kirche im Westen. Ihr Anspruch wurde gefördert vom römischen Prestige und organisatorisch-hierarchischen Fähigkeiten über Generationen. Auf dem Weg zum eigentlichen Papsttum waren die Bischöfe von Rom erst am Anfang. Doch der Aufstieg wurde beschleunigt von genialen Kirchenmännern wie Leo I. (440-461) und Gregor I. (590-604), die wegen ihrer weltpolitischen Wirkung mit dem Beinamen »der
Große« ausgezeichnet wurden. Leo der Große stellte sich - so wird überliefert, so ist es im Vatikan in den Stanzen des Raffael dargestellt - nicht mit militärischer Macht den Hunnen unter Attila entgegen, sondern mit geistlich-moralischer Autorität. Gregor der Große wiederum fand nichts dabei, der Bekehrung »verstockter Heiden« auf der nahen Insel Sardinien mit äußeren Mitteln nachzuhelfen. Aber auf das ferne Britannien wollte und konnte er nicht Heere senden; doch er schickte Mönchsmissionare, um von der Überlegenheit des christlichen Glaubens und der römischen Zivilisation Kunde zu geben.
Deshalb prosperierten die Kirche und die Bischöfe Roms, weil sie geistliche Macht in politische Gestaltung umzuformen wussten, ohne Gottes Reich und diese Welt zu vermengen. Die grundsätzliche Trennung von Imperium (oder Regnum) und Sacerdotium, zwischen kaiserlicher (oder königlicher) Herrschaft und geistlicher Sphäre (unter dem Papst) ist schon im Mittelalter ein Grundzug der abendländischen Geschichte - im Gegensatz zum Islam. Das sollte so bleiben im westlich geprägten Europa, im Prinzip. Als daher Thron und Altar, Politisches und Religiöses, sich im Missbrauch der Macht vermischten, rebellierte die europäische Vernunft und
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