Zwischen Rom und Mekka
Johannes Paul II. beim orthodoxen Patriarchen Bartholomäus I. demütig entschuldigte. Oder warum die Seemacht Venedig unter dem Dogen Enrico Dandolo ihre Handelsinteressen so blutig mit Hilfe von Kreuzzüglern verfolgen musste. Warum einige an diesen »bewaffneten Wallfahrten« ins Heilige Land verdienten, der Papst an geistlichem Ansehen und andere an weltlicher Macht gewannen. Warum die Päpste für die Kreuz-Kriege waren und der Kaiser, der in Assisi getauft worden war, nicht. Oder warum Friedrich II. die martialischen Unternehmungen zurückhaltend betrachtete, deshalb
vom Papst bestraft wurde, jedoch auf dem Verhandlungsweg vom Sultan freien Zugang zu den heiligen Städten Jerusalem, Bethlehem und Nazareth erreichte. Oder warum Kinder zwischen zehn und 15 Jahren auf die Idee kamen, selbst einen Kreuzzug zu unternehmen, und diesen 30 000 Selbstmordwilligen auch der Erzbischof von Köln ihren Wahnsinn nicht ausreden konnte.
Weil Franziskus das alles nicht verstand, genauso wenig wie die Leute, die seinen Predigten lauschten, nahm er sich im Jahr 1219 vor, selbst in den Orient aufzubrechen, ins berühmte Damiette an der Nilmündung, und von dort... Der Historiker Wolfram von den Steinen beschreibt das so:
»Franziskus ging kühn in das Sarazenenlager hinüber, wo er zunächst feindselig empfangen wurde, und erreichte es, dass er dem Sultan vorgeführt wurde. Al Kamil, ein großer Fürst und zugleich ein Dichter und Gelehrter, hörte ihn aufmerksam an. Nach mehreren Tagen entließ er ihn in Ehren. ›Bete für mich‹, sagte der Sultan, ›dass Gott mir den Glauben enthülle, der ihm am gefälligsten ist.‹ Dann befahl er, ihn zu den Kreuzfahrern zurückzugeleiten; Mission in seinem Heere wünschte er nicht.«
Die gemalte Lehre des Giotto
Andere Historiker bemerken dazu allerdings, dass Francesco nie im Orient war. Das verhinderte jedoch nicht, dass die Begegnung zwischen dem christlichen Heiligen und dem muslimischen Sultan in die abendländische Kulturlegende eingegangen ist. In der Oberkirche von San Francesco in Assisi malte Giotto diese Szene, das Treffen um die Idee erweiternd, Franziskus habe dem mächtigen Muslim eine Feuerprobe zum Erweis der Wahrheit des jeweiligen Glaubens vorgeschlagen. So weit ist es nicht gekommen. In derselben Oberkirche malte Giotto jedoch auch jene Szene, in der Francesco, der arme Bettelmönch, dem Papst Innozenz die Kirche stützt und vor dem Einsturz bewahrt. Nicht Machtpolitik durch Kreuzzüge festigten Papsttum und Kirche, sondern die Rückbesinnung auf die wahren christlichen Werte
von Armut, Gewaltverzicht und Demut, war die gemalte Lehre des Giotto (1266-1337).
Schon zu jener Zeit erzählte man in Italien die jüdisch-muslimische Geschichte von den drei Ringen - gleich den Religionen der Juden, Christen und Muslime -, von denen nur einer »authentisch« sei. Doch der Vater, Gott oder Abraham, habe für seine drei Söhne zwei weitere anfertigen lassen. Auf dass diese durch ihr Leben die Echtheit ihres Ringes erweisen!
Die Ringparabel des Boccaccio
In der mittelalterlichen Sammlung von hundert Novellen, des Florentiner »Novellino«, fand das Gleichnis zuerst seinen literarischen Niederschlag. Giovanni Boccaccio (1313-1375) nimmt die Erzählung in sein epochales Hauptwerk, den »Decamerone«, auf. Mit großer Wirkung auf das gemeine Volk und die Weisen. Denn die Zeiten hatten sich geändert. Dem Aufstieg der Päpste zu höchstem Ansehen im 13. Jahrhundert folgte der Absturz. Sie mussten Rom verlassen und ins Exil gehen, in die »Babylonische Gefangenschaft der Kirche« von 1309 bis 1377, nach Avignon in Frankreich. Die Kreuzzüge waren fehlgeschlagen. Die muslimischen Mächte, vor allem die Türken, waren wieder in die Offensive gegangen; sie drängten gegen Europa, mit ihren Flotten im Mittelmeer, mit den Landheeren von Kleinasien her in Südosteuropa bis nach Ungarn. In der Mitte des 14. Jahrhunderts, von 1347 bis 1353, wütete eine furchtbare Pestepidemie, der ein Drittel der damaligen europäischen Bevölkerung zum Opfer fiel. Was bedeuten, so fragten viele angesichts der Schrecken und Tragödien des Schwarzen Todes, von dem jede Nation, jede Stadt, jedes Dorf, jede Familie betroffen war, die Unterschiede der Religionen?
Vor diesem Hintergrund erzählt der Dichter in einer Florentiner Villa von Saladin und Melchisedech, von den drei Ringen und der Suche nach der wahren Religion: der »Ringparabel«. Sie lag von nun an nicht gerade unter dem Kopfkissen der Päpste.
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