Zwischen Rom und Mekka
erfordert die rechte Ermittlung des Sinnes der heiligen Texte, dass man mit nicht geringerer Sorgfalt auf den Inhalt und die Einheit der ganzen Schrift achtet, unter Berücksichtigung der lebendigen Überlieferung der Gesamtkirche und der Analogie des Glaubens. Aufgabe der Exegeten ist es, nach diesen Regeln auf eine tiefere Erfassung und Auslegung des Sinnes der Heiligen Schrift hinzuarbeiten, damit so gleichsam aufgrund wissenschaftlicher Vorarbeit das Urteil der Kirche reift. Alles, was die Art der Schrifterklärung betrifft, untersteht letztlich dem Urteil der Kirche, deren gottergebener Auftrag und Dienst es ist, das Wort Gottes zu bewahren und auszulegen.«
Gottes Worte durch Menschenzunge
In zwei Sätzen fassen Paul VI. und die Bischöfe die Quintessenz des Problems und seiner Lösung zusammen: »In der Heiligen Schrift also offenbart sich, unbeschadet der Wahrheit und Heiligkeit
Gottes, eine wunderbare Herablassung der ewigen Weisheit […]. Denn Gottes Worte, durch Menschenzunge formuliert, sind menschlicher Rede ähnlich geworden.« Es ist so ähnlich, wie wenn die wissenschaftliche Astronomie von der »Milchstraße« spricht; es ist weder Milch noch Straße und weist doch auf eine Wirklichkeit hin. Aber dann möchte man es doch etwas genauer wissen, begnügt sich nicht mit Milch und Straße, und siehe da, es wird genauer.
Das Konzil fand in den theologischen Debatten über die Offenbarung, wie es hieß, sein Selbstbewusstsein, den Standort einer zeit- und vernunftgemäßen Bestimmung der Kirche. Dahinter können die Päpste nicht mehr zurückweichen, gerade dann nicht, wenn sie und die christlichen Theologen mit dem Anspruch einer anderen Offenbarungsreligion konfrontiert werden, dem Islam. (Mit jüdischen Gelehrten sind sich christliche Exegeten über die Methoden der Bibelforschung weitgehend einig; die Scheidelinie ist Jesus Christus.) Doch im Islam steht die Auseinandersetzung zwischen Fundamentalisten und an der Wissenschaft ausgerichteten Exegeten noch aus. Sie ist kaum über Anfänge hinausgekommen, und weithin scheint sogar die Infragestellung des Fundamentalismus unstatthaft. Dabei kann sich der Dialog nicht mit »fortschrittlichen« Muslimen und ihren moderaten Ansätzen einer kritischen Auslegung des Koran begnügen. Der Blick muss auf die Gesamtheit der muslimischen Milliardengemeinschaft gerichtet sein.
So wie mehr als vier Jahrzehnte nach dem Konzil, im Oktober 2008, die 12. Generalversammlung der Bischofssynode der katholischen Kirche vom Fundament der Offenbarungskonstitution her fast konfliktfrei über das Thema »Das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche« beriet und einmütig - bei aller Aufgeklärtheit - die christliche Botschaft als Wort Gottes, als Antlitz Gottes in Jesus Christus, die Kirche als Haus Gottes und die Mission als Weg der Kirche zu den Völkern deutete. Paul VI. hatte als Herr des Konzils offenbar den richtigen Weg freigegeben.
Kapitel 14
Johannes Paul II. - Die ersten Begegnungen mit dem Islam
Islam und Muslime kannte Karol Wojtyła, von Oktober 1978 bis April 2005 Papst Johannes Paul II., zunächst nur vom Hörensagen. Er hatte zunächst andere Prioritäten und Probleme. Am 18. Mai 1920 in Wadowice, einem Städtchen in der Nähe von Krakau, geboren, war er beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf sein Heimatland 19, bei dessen Ende mit der Beherrschung Polens durch die kommunistische Sowjetmacht 25 Jahre alt. Er kannte Juden und erfuhr von dem, was Deutsche im nahen Vernichtungslager Auschwitz aus gottlosem Rassenwahn begingen. Von Muslimen keine Rede.
Der Priester in Krakau (seit November 1946), dann Auxiliar-Bischof (von Pius XII. 1958 ernannt), später (seit 1964, von Paul VI. ernannt) Erzbischof dieser besonderen Königsmetropole Polens, lernte mehr über den Islam in der Messe. Dadurch, dass am 12. September die katholischen Polen in den Kirchen des Landes stets des Sieges ihres Königs Jan Sobieski über die muslimischen Türken bei Wien im Jahr 1683 gedachten. Noch im Jahr 2008 feierten um diesen Tag herum in Krakau Zehntausende in fröhlicher politischer Unkorrektheit die Niederlage der osmanischen Muslime und ihren Hinauswurf aus dem christlichen Europa. Von Krakau aus war damals der Polenkönig mit seinem Heer zur Rettung des Abendlands aufgebrochen, Grund zur Freude noch heute in Polen.
Vielleicht hatte den Bischof Wojtyła - 1967 von Paul VI. zum Kardinal in einer kommunistischen Diktatur
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