Zwischen Rom und Mekka
Johannes Paul II. »Nein« gerufen - vergeblich. Er
konnte nur verhindern, dass beide Militäraktionen von der einen wie von der anderen Seite als »heilige Kriege« ausgegeben und aufgefasst wurden. Christentum kontra Islam, das nicht! Johannes Paul II. hatte beklagt, dass muslimische Autoritäten zu zaghaft oder gar nicht die Gewalttäter verurteilten und einen gewissen Radikalismus in Kauf zu nehmen schienen. Dennoch vertraute er auf die moderaten und mäßigenden Kräfte in einem erstarkenden und mächtigen Islam, wie er es immer bei seinen apostolischen Reisen in vielen Ländern mit muslimischen Mehrheiten als seine Grundbotschaft vortrug. Von der vierten Reise seines Pontifikats 1979 in die Türkei bis zur 101. nach Bosnien-Herzegowina am 22. Juni 2003. Dieses Erbe hatte Benedikt XVI. übernommen.
Nun ist es jedoch nicht so, dass man als Korrespondent und Reisebegleiter des Papstes die Muße hat, beständig weltpolitische Betrachtungen und zeitgeschichtliche Erwägungen anzustellen. Noch die Zeit, vor, während und nach einer Rede jedes päpstliche Wort mehrmals umzudrehen. Am Dienstag waren Reden Nr. 9, 10 und 11 der Bayernvisite dran, vorher waren es andere, weitere würden folgen. Aber weil Nr. 10 mir doch als etwas Besonderes erschien, als etwas Grundsätzliches, las ich sie, bevor Benedikt an das Katheder trat.
Natürlich fielen mir als Journalisten diese Worte über Mohammed auf: »Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten.«
Als Journalist ist man stets ein Trüffelschwein, das die Kostbarkeiten aus dem Erdboden der 1000 nichtssagenden Politikerworte hervorwühlen muss. Ich überlegte mir sogar kurz, dass dieser Satz, verpackt als Zitat, nichts von seiner Beweis- und Überzeugungskraft einbüßen würde, wenn man die beiden den Propheten beleidigenden Worte »Schlechtes und Inhumanes« weggelassen hätte. Wer würde da nachschauen und dem Professor Ratzinger auf dem Papstthron eine - vielleicht sogar wissenschaftlich zulässige - Ungenauigkeit vorhalten wollen! Außerdem gibt es in der europäischen Literatur- und Geistesgeschichte
eine Unzahl von viel abträglicheren Zitaten über den Propheten Mohammed, ob vom Reformator Martin Luther oder dem französischen Aufklärer Voltaire. Für einen liberalen deutschen Journalisten schien das kein Grund, Zeter und Mordio zu schreien.
Noch etwas war ungewöhnlich an dem päpstlichen Manuskript. Am Ende hieß es in dem mir vorliegenden und auch offiziell vom Presseamt des Heiligen Stuhls verbreiteten Text in einer Anmerkung in hervorgehobener Kursivschrift: » Der Heilige Vater hat sich vorbehalten, diesen Text später mit Anmerkungen versehen zu veröffentlichen. Die vorliegende Fassung ist also als vorläufig zu betrachten.« Daraus zog ich auf die Schnelle drei Schlüsse:
1. Der Theologieprofessor Joseph Ratzinger fand die Regensburger Vorlesung wichtig und somit der Veröffentlichung wert, wie er es mit einigen seiner Texte seit einem halben Jahrhundert gehalten hatte.
2. Benedikt war mit dem Text noch nicht bis zum letzten i-Tüpfelchen fertig geworden und mit der nun erst einmal dargebotenen Fassung nicht zufrieden. Oder er wollte lediglich noch den wissenschaftlichen Apparat mit Anmerkungen und Belegen hinzufügen.
3. Der Papst hatte einen wissenschaftlichen Vorbehalt angekündigt. Der konnte jedoch nicht vor den Medien und der Öffentlichkeit Geltung beanspruchen.
Weitere Gründe also, sich nicht aufzuregen und erst einmal abzuwarten, ob andere sich empören würden. Außerdem, so meine Schlussfolgerung, die Worte über Mohammed gaben nicht die Substanz der Vorlesung wieder. Das waren eindeutig für eine politische Tageszeitung drei andere große Themen: Dass
1. Gewalt dem Wesen Gottes und damit einer jeden Religion widerspricht,
2. Glaube und Vernunft an Wahrheit und Werte gebunden sind,
3. beide Einsichten für einen Dialog der Religionen sprechen.
Angesichts der weltpolitischen Spannungen und des dauernden Geredes über einen Zusammenprall der Kulturen und Religionen also ein wichtiges päpstliches Wort!
Aber in den immer rascher verstreichenden Minuten bis zum Redaktionsschluss an jenem Nachmittag kam mir das alte Dilemma zwischen Politikern und Journalisten, zwischen den Mediensubjekten und -objekten in den Sinn: Was, wenn man nun den Papst nicht so verstehen wollte, wie er
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