Zwischen Rom und Mekka
1975, die Joseph Ratzinger trotz ihres großen Arbeitsaufwands und riesigen Dokumentenertrags insgesamt nicht sehr erleuchtet vorkam; die ganze Richtung eines sich selbst erfindenden und bestimmenden Katholizismus befremdete ihn. Der bayerische Professor schätzte die Synode wenig, und die Synodalen ließen seinen Stern nicht leuchten. Hier in der Regensburger Universität war Joseph Ratzinger jedoch zu Hause, kannte die Gewohnheiten der Studenten, die Geräusche und Gerüche der Vorlesungssäle. Regensburg war katholische Heimat, die Aula ihm vertraut.
So hatte der Papst-Professor als Thema seiner Vorlesung »Glaube, Vernunft und Universität. Erinnerungen und Reflexionen« vorgegeben. In aller Souveränität, weil er die Vernunft auf seiner Seite glaubte; den Glauben sowieso. Da sollte etwas
Besonderes kommen. Darauf war ich vorbereitet. Denn aus dem Vatikan hatte ich gehört, der Papst habe in der Vorbereitungsphase für den Besuch in Bayern viel Aufmerksamkeit und Zeit gerade auf die Abfassung dieser Regensburger Vorlesung verwendet. Nun gut. Das konnte auch bedeuten, dass der Professor-Papst - mit seiner fünfzigjährigen Erfahrung des Schreibens und Publizierens - einfach nur sorgfältig in die Schublade griff, in das persönliche Archiv zu eigenen Texten. In der Theologie veraltet Wertvolles nicht. Das kam Benedikt stets zugute, etwa für die Katechesen bei den traditionellen Generalaudienzen am Mittwoch in Rom - zum Beispiel über den Kirchenvater Papst Gregor den Großen, wie im Mai und Juni 2008 - oder eben für eine Vorlesung über eines der klassischen Themen der Fundamentaltheologie wie das Verhältnis zwischen Glaube und Vernunft im Spektrum einer europäischen Universität.
Doch damit war auch das zentrale Problem einer Offenbarungsreligion vom Papst aufgeworfen, der Nerv im Verhältnis zwischen Christen und Muslimen berührt. Denn Glaube und Vernunft erörtern nicht nur, ob es Gott gebe und er erkannt oder wenigstens nicht ausgeschlossen werden könne. In Europa streitet man seit Jahrhunderten, und zunehmend seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert, auch darüber, ob allein der Glaube die Gewissheit über eine Offenbarung Gottes gewährt oder auch die Vernunft Zugang dazu hat. Oder anders ausgedrückt: Ob erst die Vernunft den Maßstab für die Offenbarung Gottes setzt - sei es in Jesus Christus oder durch den Propheten Mohammed. Wieder anders - da hatte ich die ersten Fragen des Papstes in dem mir schon vorliegenden Manuskript der Vorlesung erspäht: Wenn Gott der Vernunft widerspricht oder etwas Vernunftwidriges befiehlt, nämlich Gewalt, ist er nicht Gott!?
Jesus und Mohammed Betrüger?
Mich persönlich interessierte das Thema, das Verhältnis zwischen Glaube und Vernunft, gipfelnd in der Frage nach der Echtheit der Offenbarung Gottes, seit jeher brennend. Meine Philosophie- und Theologiestudien hatte ich mit einer religionsphilosophischen
Arbeit genau darüber beendet. Deren etwas komplizierter Titel lautete: »Die Auflösung des Begriffes der Offenbarung bei Ludwig Feuerbach (1804-1872) als Negation deutscher Religionsphilosophie«. Kurz gesagt ging es darum, ob eine »Offenbarung« Gottes an den Menschen möglich ist. Ob Jesus Christus oder Mohammed Betrüger sind. Ob beide Träger von Offenbarung(en) sein können. Oder nur der eine oder nur der andere ein Scharlatan ist. Und ob die Vernunft darüber zu einem gültigen Urteil kommen kann oder von vornherein etwas Göttliches - weil vernunftwidrig - ausschließen kann. Das waren damals (1973) noch sehr theoretische Fragen, bei denen der Prophet Mohammed als Begründer des Islam nur implizit gemeint war. Heute sind es weltpolitisch entscheidende Fragen, weil sich daran die Anhänger von zwei Weltreligionen mit einer Milliardengemeinde scheiden und darüber zwei Kulturen aufeinanderprallen können.
Ich könnte darüber nächtelang diskutieren oder lange Vorträge halten. Aber galt das auch für andere? Wollten die die Vorlesung mitverfolgen? Ja, wurde mir an jenem Dienstag schon um die Mittagszeit von der Redaktion der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« bedeutet. Man plane, den ganzen Text der Vorlesung, lediglich mit geringen Kürzungen, zu veröffentlichen, ich sei sicher einverstanden. Das war ein Wort für einen Text von rund 24 000 Anschlägen oder 600 Zeitungszeilen! Eine ganze Sonderseite! Das entsprach der Wichtigkeit des Themas, schien mir.
Einen kurzen Moment dachte ich, dadurch könne meine Arbeit an jenem Dienstag leichter werden.
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