Zwischen Rom und Mekka
die Frage auftaucht, wer über die Interpretation der heiligen Schriften entscheidet. So wie man sich im Christentum darüber theoretisch und praktisch (bis hin zu blutigen Kriegen) stritt. Aber diese Unterscheidung fiel weder in Regensburg noch kurz danach auf. Aber sie sollte für den Islam und den Dialog eine wichtige Rolle spielen.
Also - so war nach späterer Lesart zu folgern - doch Gewalt zur Verbreitung des eigenen Glaubens und in der Auseinandersetzung mit anderen Kulturen! Gewalt von »Schriftbesitzern« gegen »Ungläubige«.
Jetzt war der Papst am Punkt. Am Zündpunkt. Und merkte dies. Und auch die Gefahr, missverstanden zu werden. In erstaunlicher geistiger Präsenz. Die meisten Politiker schaffen es nicht, von einer programmatischen Grundsatzrede abzuweichen. Das ist auch deshalb bei den wichtigen Reden selten notwendig, weil vorher viele Redenschreiber und Sachbearbeiter an den Worten geputzt und gebügelt haben, weshalb die Reden meist auch sehr langweilig sind. Offenbar hatte im Vatikan vorher niemand geputzt und gebügelt. Als der Papst sich dem Zitat näherte, ahnte er, dass er etwas nicht bedacht hatte: Das eine ist es, als Theologe in der päpstlichen Privatbibliothek das passendste Zitat herauszufinden, etwas ganz anderes jedoch, dieses Zitat als Papst vor der Weltöffentlichkeit zu verwenden, Vorlesung hin oder her.
So verstärkte Benedikt schnell noch die Absicherung. »In erstaunlich schroffer Form«, charakterisierte der Theologe in Regensburg
den christlich-byzantinischen Kaiser, fügte jedoch als Papst, das Manuskript ergänzend und abschwächend, hinzu, »in uns überraschend schroffer Form« - weil nun nicht mehr der Kaiser des Mittelalters, sondern der Papst des Jahres 2006 sprach: »Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten.« Da waren die abschätzigen Worte eines byzantinischen Kaisers über den Propheten Mohammed aus dem Mund des Oberhaupts der katholischen Kirche in der Welt.
Aber noch nicht draußen.
Ruhig sprach Benedikt weiter, nicht als Papst, sondern als historisch zitierender Theologe: »Der Kaiser begründet eingehend, warum Glaubensverbreitung durch Gewalt widersinnig ist. Sie steht im Widerspruch zum Wesen Gottes und zum Wesen der Seele. […] ›Gott hat kein Gefallen am Blut, und nicht vernunftgemäß […] zu handeln ist dem Wesen Gottes zuwider. Der Glaube ist Frucht der Seele, nicht des Körpers. Wer also jemanden zum Glauben führen will, braucht die Fähigkeit zur guten Rede und ein rechtes Denken, nicht aber Gewalt und Drohung.‹«
Dann wieder kam die päpstliche Autorität: »Der entscheidende Satz in dieser Argumentation gegen Bekehrung durch Gewalt lautet: Nicht vernunftgemäß handeln ist dem Wesen Gottes zuwider. Hier tut sich ein Scheideweg im Verständnis Gottes und so in der konkreten Verwirklichung von Religion auf, der uns heute ganz unmittelbar herausfordert.«
Deshalb die Anfrage, auf die es wie in einem Manifest ankommt: »Ist es nur griechisch [oder christlich] zu glauben, dass vernunftwidrig zu handeln dem Wesen Gottes zuwider ist, oder gilt das immer und in sich selbst?«
Und damit in einem international verbindlichen Verhaltenskodex auch für Muslime? Es war nicht anzunehmen, dass der Papst die Worte über Gott und den Islam, über Vernunft und Gewaltanwendung in Glaubenssachen unbedacht gesprochen hatte.
Benedikt nahm sich nun viel Zeit - und die der Zuhörer oder späteren Leser -, die »Vernünftigkeit des christlichen Glaubens« darzulegen, gleichsam für eine Kurzfassung der christlichen Geistesgeschichte unter dem Logos Gottes. Er beschrieb auch gemächlich nach Professorenart ihre geistigen und geistlichen Gefährdungen in zwei Jahrtausenden, durch das, was er die »Enthellenisierungswellen« nannte. Weg vom Logos, von der Vernunftgemäßheit Gottes. Er hätte dabei als Fußnoten auch zahllose Verstöße der Christen politischer und militärischer, wenn nicht gar terroristischer Prägung aufzählen können. Das Sündenregister ist bekannt. Aber was die Christenheit in ferneren Zeiten mit vergleichsweise harmlosen Mittel verbrochen hat, sollte andere Religionen in einer globalisierten, universell gefährdeten Welt nicht zur Nachahmung einladen.
Während der Papst seine Reflexionen ideenreich, assoziationssicher und sprachgewandt entwickelte, fragte ich mich beständig: Was
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