Zwischen Tod und Ewigkeit
und ging nach oben. Auch er sicherte die Tür nicht.
Draußen war ein wolkenloser Sonnentag. Die Luft war würzig und roch nach Seewasser. Der Wind kam aus Westen. Von fern war das Rauschen der Brandung zu hören.
»Gerald! Hallo, wo stecken Sie denn?«
Vielleicht war er auf eine der Pyramiden geklettert, war abgestürzt und hatte sich verletzt. Er konnte seinen Arm noch immer nicht richtig bewegen.
»Gerald!«
Keine Antwort. Irgendwo zwitscherte ein Vogel, strich dann dicht über Mark hinweg und verschwand in einer Spalte.
Vögel kann man schießen und notfalls auch essen, dachte Mark geistesabwesend und lauschte angestrengt, aber er vernahm keinen Laut. Gerald antwortete nicht.
Spuren!
Er mußte nach Spuren suchen, ganz klar. Aber das war nicht so einfach, wie er sich das vorstellte. Die Kannibalen hatten deren genug hinterlassen, und sie beide auch. Aber Mark wußte noch so ungefähr, wo sie bisher gewesen waren und wo nicht. Somit war es kein Wunder, daß er bereits nach zehn Minuten einzelne Schuhabdrücke in dem weichen Boden entdeckte, die nach Nordosten führten, zur benachbarten Pyramide.
Was hatte Gerald in der Nacht dort zu suchen?
Die Frage wurde zweitrangig, als er weitere Fußspuren entdeckte – von Menschen, die keine Schuhe getragen hatten. Er zählte insgesamt sieben verschiedene Fußpaare. Sie verliefen ebenfalls in Richtung Nordost und kehrten nicht zurück.
Mark erreichte den Ort des Überfalls noch vor der Pyramide. Die Spuren erzählten die Geschichte überdeutlich. Gerald mußte von den Angreifern überrascht worden sein und hatte keine Zeit mehr, sich erfolgreich zur Wehr zu setzen. Schleif spuren bewiesen, daß man ihn einfach davongeschleppt hatte, genau nach Osten, auf die Wohnhöhlen der Kannibalen zu.
Lebende Beute – das mußte ein Fest für die Wilden sein! Mark lief es eiskalt über den Rücken. Er rannte zur Hauptpyramide zurück, packte den Rucksack voll Lebensmittel, schob die geladene Pistole in den Gürtel und überprüfte das Gewehr. Geralds Revolver ließ er liegen.
Er setzte die Tür unter Strom, nachdem er auf ihr einen Zettel mit einem Blitz gut sichtbar befestigt hatte. Dann stieg er nach oben und marschierte nach Osten.
Er konnte die Hügel in etwa zwanzig Kilometer Entfernung gut erkennen, und gelegentlich entdeckte er auch die Spuren der Entführer im Gras oder auf freien Sandflächen.
Gerald hatte sich kurz nach Mitternacht dazu entschlossen, einige Himmelsbeobachtungen anzustellen, um ganz sicher zu sein, woher die Funkzeichen stammten. Zugleich wollte er versuchen, die bekannten Konstellationen aufzuzeichnen, um später eine eventuelle Verschiebung rechnerisch auszuwerten. So konnte es möglich sein, das Verstreichen einer größeren Zeitspanne zu beweisen.
Der Überfall erfolgte überraschend und schnell. Wie Schatten tauchten die halbnackten Wilden aus dem Dunkel zwischen den beiden Pyramiden auf und packten ihn, ehe er sich zur Wehr setzen konnte. Viel hätte er auch mit seinem verletzten Arm und ohne Waffen nicht gegen sie ausrichten können.
Er wollte schreien, brachte aber keinen Ton über die Lippen. Außerdem, so sagte er sich, war Rufen zwecklos. Mark konnte ihn nicht hören, selbst wenn er nicht geschlafen hätte.
Kampflos ergab er sich in sein Schicksal, konnte aber Notizbuch, Schreibstift und die kleine Lampe noch schnell in seine Taschen schieben. Niemand durchsuchte ihn. Die Wilden packten ihn einfach bei den Armen und schleppten ihn davon. Gerald schleifte bewußt die Füße nach, um deutlich sichtbare Spuren zu hinterlassen.
Es wurde hell.
Im Westen konnte Gerald die Spitzen der fünf Pyramiden sehen, aber die Hügel im Osten waren schon näher. Noch fünf Kilometer etwa, dann war er im Gebiet der Kannibalen.
Zum ersten Mal betrachtete er sie genauer. Sie hockten dicht bei ihm in einem Kreis und unterhielten sich leise. Niemand achtete auf ihn, denn er konnte ihnen unmöglich entkommen. Ihre Worte waren unverständlich, wenn Gerald auch mehrmals meinte, vertraute Lautkombinationen zu hören. Durchaus möglich, dachte er bei sich, daß die Sprache im Verlauf von vierhundert Jahren – oder mehr – einer Veränderung unterworfen war. Es würde nicht einfach sein, sich mit ihnen zu verständigen.
Noch war es dazu zu früh, sagte er sich weiter. Er mußte warten, bis er bei ihnen im Höhlendorf war. Wenn er ihnen klarmachen konnte, daß er lebendig wertvoller war als tot, hatte er eine Chance, Marks Rettungsaktion noch zu
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